Schweigen ist Gold
»The Artist« von Michel Hazanavicius
Als der Schriftzug auf den Hügeln über Los Angeles noch frisch und neu war und »Hollywoodland« lautete, weil er für ein Neubaugebiet Reklame machte, noch nicht für die damals tatsächlich weltgrößte Traumfa-brik, da waren die Filme noch stumm (bis auf die Musikbegleitung aus dem Orchestergraben) und schwarz-weiß (außer in den Fällen, in denen sie koloriert auf die Leinwand kamen). »The Artist« ist so ein Film - schwarz-weiß und mit Dialogen, die man lesen muss -, auch wenn er erst ein Jahr alt ist. Und er spielt unter dem Hollywoodland-Schriftzug, auch wenn Regisseur und Darsteller allesamt Franzosen sind.
Ein moderner Stummfilm, das Etikett ist oft keine Empfehlung. Meist sind solche Filme kurz, stilistisch oft übertrieben ehrgeizig und selten von echter Kenntnis ihres Vorbildes getrübt. »The Artist« ist, zumindest nach den meisten relevanten Kriterien, eine Ausnahme. Lediglich ein paar Details sind zu modern geraten, in der Ausstattung und vor allem in den Dialogen.
Gelegentlich bricht sich ein Ton Bahn, ein Geräusch, das nur die schwächeren unter den zeitgenössischen Begleitorchestern so wohl auch damals schon eingesetzt hätten. Und in einer Passage erlebt der Held, der ein Stummfilmstar war und mit dem Tonfilm seine Ausdrucksform verliert, die über ihn hereinbrechenden Töne wie eine Flut von Titeln, während er selbst angesichts der Tonüberflutung erst recht verstummt.
Jean Dujardin ist dieser George Valentin, der mehr als nur ein wenig an Douglas Fairbanks erinnert, auch wenn die Geschichte, die er durchlebt, eher an »Singin’ in the Rain« angelehnt ist. Was die bittere Rivalität zwischen einem depressiven einstigen Star und seinem Schützling angeht, der ebenso rasend schnell Karriere macht wie seine zu Ende geht, denkt man an »A Star is Born«. Eine Frühstücksszene zwischen Valentin und seiner sich ihm zusehends entfremdenden Ehefrau stammt sogar eins zu eins aus Orson Welles’ ultimativem Tonfilmklassiker, »Citizen Kane«.
Bérénice Béjo, die die weibliche Hauptrolle spielt, eine Verehrerin, die sich im aufkommenden Tonfilm erst mal besser behauptet als der erfolgsverwöhnte Star, erinnert optisch ein wenig an Jessica Schwarz (und ist außerdem die Frau des Regisseurs). Und Dujardin, der in Frankreich als Komiker in Fernsehen und Kino bekannt ist und im Jahr 2009 mit ein paar Millionen Euro für zwei Filme angeblich sogar mal der bestbezahlte Schauspieler des Landes war, hatte auch das schon zum Teil seinem Stummfilmregisseur zu verdanken. Denn mit dem hatte er gerade zwei in Frankreich höchst erfolgreiche Spionagefilm-Parodien gedreht. Zu »The Artist« musste Dujardin trotzdem erst überredet werden. Und wurde dafür nicht nur in Cannes mit dem Darstellerpreis ausgezeichnet, sondern steht auch längst (ebenso wie Hazanavicius und sein Film) auf der Favoritenliste für einen Oscar. Denn wer in Hollywood könnte schon einer solchen Liebeserklärung an die Traumfabrik widerstehen?
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