Glanz des Morbiden
»Les Fleurs du Mal«
Kein Gedichtzyklus hat die moderne Poesie so nachhaltig beeinflusst wie die 1857 erschienenen »Les Fleurs du Mal« von Charles Baudelaire. Sieht man von der Aufsehen erregenden Zensur durch dieselbe Pariser Strafkammer ab, die im gleichen Jahr bereits Flauberts »Madame Bovary« auf den Index setzte, beruht die Nachwirkung dieser Texte auf zweierlei Antagonismen. Der eine betrifft den »Inhalt«: Die Gedichte bewegen sich - abrupt und »dialektisch« - zwischen »spleen et idéal«, also, wie Stefan George diesen ersten und größten Gedicht-Komplex innerhalb der »Fleurs du Mal« übersetzte, zwischen »Trübsinn und Vergeistigung«. Der zweite betrifft die Art dieser »Bewegung«, die Form: Im klassischen Vers des gereimten Alexandriners, häufig in Sonetten zu Strophen zusammengefügt, erklingen ganz neue Inhalte, die wegen ihrer Trivialität die Zensur auf den Plan riefen. Seinen Pessimismus drückt Baudelaire auf der höchsten Stufe gelingender Kunst aus - gegen die von ihm beklagte Geistfeindlichkeit der Zeit. Der »Entwürdigung des Herzens«, setzte er mit seinen oft drastischen Alexandrinern eine dichterische »honorabilité spirituelle« entgegen.
Diesem spannungsreichen inneren Widerspruch folgend, ist jetzt in der Reclam Bibliothek eine besonders schöne Ausgabe der »Fleurs du Mal« erschienen. Cornelia Feyll und Friedrich Forssmann haben ein Gesamtkunstwerk der Buchherstellung geschaffen, wie um den Pariser Richter von 1857 für seine Zensur nachträglich abzustrafen, aber auch, um der Endzeitstimmung des Dichters ein zeitlos-schönes Buch entgegenzusetzen. Mittlerweile ist es selbstverständlich, Poesie zweisprachig zu edieren. Reclam hat Monika Fahrenbach-Wachdorff gebeten, ihre schon vor dreißig Jahren im selben Verlag - als kleines gelbes Bändchen - erschienene Übersetzung zu revidieren. Ihre Versübertragung setzt die lange Reihe von Übersetzungen fort, die mit Stefan George vor 120 Jahren begann und über Walter Benjamin (1923), Carlo Schmid (1947) und Friedhelm Kemp (in Prosa 1962) viele große Namen enthält.
In seinem Vorspruch »An den Leser« nennt Baudelaire »Ennui« als schlimmste aller Plagen: »Die Langeweile ist‘s!/ - das Auge tränenreich/ Raucht sie die Wasserpfeife, träumt vom Blutgericht ...«
Charles Baudelaire: Les Fleurs du Mal/Die Blumen des Bösen. Französisch/Deutsch. Übersetzt von Monika Fahrenbach-Wachendorff. Reclam. 640 S., geb., 29,95 €.
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