Der Platz, den die Freiheit hat

  • Lesedauer: 2 Min.

Der inzwischen legendär gewordene Tahrir-Platz in Kairo. Jetzt knallen dort Knüppel auf Leiber. Noch gar nicht lange her, da drängte eine friedliche, vieltausendfache Masse auf Veränderung, und das Militär schützte sie. Euphorietaumel: Freiheit! Dann plötzlich lag der Platz wieder unaufgeregt da, als sei nie etwas geschehen. Wirklich: Frieden. Nun der Rückschlag: Schläge. Auch Totschläge.

Freiheitsausbrüche kann man mit dem Verweis auf die bösen Folgen fast immer treffsicher denunzieren. Denn nie schlägt Freiheit ins Gewünschte um. Geschichte sitzt auf dem hohen Berg ihrer Erfahrung und grinst darüber, wie gewiss doch ihre Sprecher die besagte Denunzierung betreiben: Haben wir das nicht von Anfang an gesagt? Haben wir nicht gewarnt? Ist es nun nicht sogar ärger als vorher? Aus solcher Geisteslage heraus errichten gestürzte Machthaber quasi ihr zweites Regime, und zwar im barmenden Gedächtnis: Früher war vieles besser. Das Wort von der guten alten Zeit wird dann weitergereicht wie eine Einschläferungsablette: Der Traum der Wiedergänger kann beginnen.

Freiheit ist eine Verführerin, die dann, wenn sie endlich da ist, vieles überhaupt nicht besser macht. Aber ohne sie wird nichts gut. Sie ist die teuflischste Hüterin der Dialektik: Sie führt ins Freie, das aber oft weiter denn je von jenem Ziel entfernt ist, das der Aufruhr im Schilde und auf den Transparenten führte. Freiheit geht ins Offne - wo der Mensch dann freilich nur auf sich selbst zurückgeworfen wird. Denn: Wer handelt, kommt aus sich heraus und gerät immer ein Stück weit in die Fremde, er verwickelt sich in Konsequenzen, die nicht sehbar waren.

Freiheit operiert im Ungewissen. Sie bedeutet: Möglichkeitsvielfalt. Aber sich für eine Möglichkeit zu entscheiden (und das muss der Freiheitskampf) heißt: Verengung der Vielfalt und Wahl einer Wirklichkeit, die dann aufs Neue gefangen nimmt. Das stimmt im Großen wie im Kleinen, deshalb macht kein Gesetz, keine Logik, kein Weltgeist, keine Wissenschaft, keine Klassenlehre Geschichte je berechenbar. Die Freiheit ist kein Geschenk, keine Erlösung, sie ist ein Problem. Immerwährend.

Das Foto ganz oben zeigt eine Situation, die deshalb entstand, weil die Macht Vieles verboten hatte. Das Foto unten zeigt eine Situation, die deshalb entstand, weil die Macht befürchtet, dass zu viel erlaubt sein könnte. Das Foto in der Mitte zeigt die siegreiche Wahrheit: Der Alltag dreht sich im Kreis, und im Kreisverkehr weiß jeder, dass der Gedanke aneine absolute Freiheit des Verhaltens sehr, sehr gefährlich werden kann...

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -