Düstere Prognosen für Osteuropa
Wiener Wirtschaftsinstitut korrigierte Zahlen nach unten
Die Aussichten für Osteuropa sind schlecht. War im Frühjahr 2011 noch von der Möglichkeit einer »schwachen Erholung« die Rede, so korrigierte WIIW-Chefökonom Peter Havlik in dieser Woche die Einschätzung nach unten. Und fügte hinzu, dass »die Prognosen derzeit mit hohen Risiken und Gefahren behaftet« seien. Für 2012 werden die Wachstumsprognosen für sämtliche Länder des EU-europäischen Ostens heute schlechter eingeschätzt als noch vor einem halben Jahr. Eine der wenigen statistischen Indikatoren, die nach oben zeigen, ist die Arbeitslosigkeit. Im Durchschnitt aller zehn osteuropäischen EU-Länder macht sie zehn Prozent aus, wobei Lettland mit 15,7 Punkten den »Spitzenplatz« einnimmt. Der deutsche Wert liegt bei 6,1 Prozent.
Eine strukturell gefährliche Schere tut sich auch in der Industrieproduktion auf. Während die Exporte das Vorkrisenniveau vom 1. Halbjahr 2008 erreicht haben bzw. übersteigen, hinkt die Binnenmarktentwicklung stark hinterher. Dies ist insofern aufschlussreich, als die Krise 2008 die Überproduktionskapazitäten reflektiert hat und eben keineswegs nur eine Finanz-, sondern eine Wirtschaftskrise war - und ist. Steigende Exporte brauchen Abnehmer, und diese wiederum benötigen die entsprechenden Mittel, um die importieren Waren bezahlen zu können. Der Fall Griechenland zeigt, wie tief und rasch importabhängige Ökonomien in die Schuldenfalle tappen können.
Mit Besorgnis blicken die Ökonomen des WIIW auch auf die Entwicklung des Kreditsektors. Mit der Ausnahme Polens, das neben Slowenien als einziges Land noch Banken kennt, die sich in heimischem Besitz befinden, sind die Bankkreditgeschäfte vollkommen eingebrochen. Der Terminus »Kreditklemme« - für private als auch für gewerbliche Kredite - ist der für diesen Zustand gebräuchliche. Wachstumsraten wie vor der Krise wird es laut Peter Havlik auf längere Sicht nicht geben.
Bezeichnend ist auch die Einschätzung Ungarns. Makroökonomisch steht das Land laut WIIW besser da als die meisten anderen Ökonomien Osteuropas. Die Leistungsbilanz ist seit zwei Jahren positiv, das Budgetdefizit überschaubar und die Devisenreserven mit 38 Milliarden Euro respektabel. WIIW-Experte Sandor Richter ortet dennoch »dringenden Reformbedarf«. Die positiven Eckdaten seien allesamt durch politische Eingriffe zustande gekommen: Eine Sondersteuer für Banken und die Verstaatlichung privater Pensionskassen nennt Richter »einmalige Effekte, die keine nachhaltige Haushaltssanierung bewirken«. Einen Vergleich mit den anderen osteuropäischen Ökonomien, die den Markt als einzig regulierende Kraft über sich ergehen lassen, braucht Budapest allerdings nicht zu scheuen.
Aus der Reihe des krisengeschüttelten Europa tanzen ausgerechnet jene Staaten, die mit der Brüsseler Union vergleichsweise am wenigsten zu tun haben. Die Türkei mit einer Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes von 7,8 Prozent, Kasachstan mit sieben Punkten und die Ukraine mit immerhin noch 4,5 Prozent Wachstum für 2011 lassen die EU der 27 (mit 1,7 Prozent prognostiziertem Wachstum für dieses Jahr) um Welten hinter sich. Dementsprechend leiser bzw. verstummt sind die Stimmen von jenseits der EU-Außengrenze, die nach Teilnahme an dem europäischen Integrationsprojekt rufen. Das System der Zwangsabnahme deutscher Überschussprodukte hat für sie offensichtlich ihren Reiz verloren.
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