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Menschen und andere Affen

Sara Gruen brachte sich für ihren Thriller auf den neuesten Stand der Primatenforschung

  • Alice Werner
  • Lesedauer: 3 Min.

Sie sind schlau. Sie lieben Sex. »Herr der Affen« und »Greystoke - Die Legende von Tarzan« gehören zu ihren Lieblingsfilmen. Wenn John Clayton, der siebte Graf von Greystoke, Jane Porter das hauchdünne Nachthemd von den Schultern streift, geben sie sich schmachtende Küsse. Sie fallen auf die Versuchungen der Fast Food Industrie herein und bestellen Cheeseburger und Karamell-Macchiato mit Marshmallows. Zu 98,7 Prozent sind sie wie wir.

Bonzi, Sam, Jelani, Makena und Mbongo: Schwarze Haare, in der Mitte gescheitelt, ausdrucksstarke Augen und Gesichter. Die fünf sind Bonobos - und die charismatischen Romanhelden in Sara Gruens fulminantem Thriller »Das Affenhaus«. Zwei Jahre hat die Autorin recherchiert, um auf dem neuesten Stand der Primatenforschung zu sein. »Ich musste Unmengen von Hausaufgaben bewältigen«, schreibt sie im Nachwort zum Buch, »beispielsweise einen Schnell-Kursus in Linguistik absolvieren.« Denn Gruen war eingeladen, den Great Ape Trust im US-Bundesstaat Iowa zu besuchen, eine wissenschaftliche Einrichtung, die den Spracherwerb bei Menschenaffen erforscht. Die Bonobos dort sind tatsächlich wahre Wortkünstler: Sie verstehen komplexes gesprochenes Englisch und können sich über die Gebärdensprache ASL und ein spezielles Lexigramm-System verständigen.

Sara Gruen hat alles, was sie im Great Apre Trust erlebt hat, dokumentiert: »Die Dialoge zwischen Bonobos und Menschen in meinem Buch basieren auf echten Gesprächen mit Menschenaffen.« Man glaubt ihr aufs Wort, wenn sie sagt, es sei unmöglich, einem von ihnen aus nächster Nähe - im Zwiegespräch - in die Augen zu blicken, ohne verändert aus der Begegnung hervorzugehen.

Wie irre ist das denn, fragt sich John Thigpen vom »Philadelphia Inquirer«, den Sara Gruen als sympathischen männlichen Hauptdarsteller und rasenden Reporter auf die Affenstory ansetzt: Sich mit einem Primaten zu unterhalten, ganz ernsthaft, sagen wir über Bananen oder die letzte Folge von »Dr. House«? Im ersten Kapitel des Buchs fliegt Thigpen für ein Interview mit der bekannten Affenforscherin Isabel Duncan nach Kansas City. Später findet er für seinen Besuch im Sprachlabor der wissenschaftlichen Einrichtung nur ein einziges angemessenes Wort: Wow! Der Journalist ist beeindruckt, fasziniert von den Bonobos, die sich ihm als individuelle, amüsante Persönlichkeiten präsentieren - und bezaubert von ihrer Betreuerin, der eigenwilligen und engagierten Isabel. Ein paar Tage später fliegt die Forschungsstation in die Luft. Ein beinahe tödlicher Anschlag, für den schnell die radikale Tierschutzorganisation Earth Liberation League verantwortlich gemacht wird. Isabel dagegen ist überzeugt, dass hier die Macht der Pharmaindustrie grausam zugeschlagen hat - für diese Branche sind Affen nichts anderes als »behaarte Reagenzgläser«. Als die Bonobos über Nacht verschwinden, sieht die Wissenschaftlerin den Verdacht bestätigt.

Sara Gruen lässt Isabel zu einer verstörenden Irrfahrt durch pharmazeutische Institutionen aufbrechen und schickt Thigpen auf Recherchereise quer durch die USA. Die Schriftstellerin versteht es dabei meisterhaft, uns in Angst und Spannung zu halten ob des Schicksals der mittlerweile sehr lieb gewonnenen Bonobos. Die überraschende Wende des Romans leitet Gruen durch ein sensationelles Medienspektakel ein. Das aber ist so klug ausgedacht, dass es unmöglich verraten werden kann.

Sara Gruen: Das Affenhaus. Aus dem Englischen von Margarete Längsfeld u. Sabine Maier-Längsfeld. Kindler. 416 S., geb., 19,95 €.

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