Vom Schlepper zum Fluchthelfer
»Black Brown White« von Erwin Wagenhofer
Es kriselt in der Wirtschaft, da reicht das Lastkraftwagenfahren allein nicht mehr zum Leben. Was tun? Waren umetikettieren, aus billigem ukrainischem Knoblauch hochwertigeren oder jedenfalls: teureren EU-Knoblauch spanischer Herkunft machen, von marokkanischen Kindern in halb-industrieller Heimarbeit zu adretten Knoblauchzöpfen geflochten, das ist eine Methode, weiter fetten Gewinn einzufahren. Noch einträglicher aber ist es, nicht nur Waren zu schmuggeln, sondern gleich auch Menschen. Weshalb Jimmy (Karl Markovics) und sein bester Fahrer, genannt Don Pedro (Fritz Karl), mit jeder Fracht ein paar Illegale aus Marokko mit nach Europa bringen, versteckt hinter Kisten mit Knoblauch »Made in Spain«, in einem Kabuff an der Rückwand der Fahrerkabine, in der hintersten Tiefe des Laderaums.
Ein Dutzend inoffizielle Passagiere kriegt man da unter, wenn man wenig Skrupel hat und den Blick fest auf den Schlepperlohn richtet, mit wenig Wasser eingepfercht und nichts als einem Eimer für die Notdurft, nichts als einer vergitterten Deckenklappe zur Belüftung. Wenn Don Pedro zögert, solche Fahrten zu unternehmen, dann nur wegen der Gefahr der Entdeckung, nicht aus humanitären Gründen. »Nicht wir sind kriminell, sondern die Gesellschaft, die uns zu solchem Handeln zwingt«, ist seine Devise, und mit der - und seinem Anteil am Gewinn - hat er es sich recht bequem eingerichtet auf den langen, einsamen Fahrten durch Europa. Bis einer seiner illegalen Passagiere sich weigert, sich für die Dauer der Reise hinten im Kabuff einsperren zu lassen. Und damit eine Reihe größerer und kleinerer Katastrophen auslöst.
Jackie (Clare-Hope Ashitey) ist aus Ghana auf dem Weg nach Genf, wo der Vater ihres kleinen Sohnes bei der UN arbeitet. Zu dem will sie nun, damit ihr Sohn eine Chance bekommt im Leben, auf eine ordentliche Schule gehen kann und eine Ausbildung erhält, die zu mehr als zum bloßen Überleben reicht. »Black Brown White« - Schwarz, Braun und Weiß - ist von da an die Konstellation in der Fahrerkabine von Don Pedros Laster: Jackie am einen Ende des Spektrums, Don Pedro am anderen, Jackies milchkaffeefarbener, europäisch-afrikanischer Sohn irgendwo dazwischen. Und für Don Pedro wird es zunehmend schwerer, die beiden nur wie eine weitere Ware zu behandeln. Zumal die Verwicklungen durch ihre Anwesenheit im vorderen Teil des Lasters für die verbleibenden zehn Passagiere im Verborgenen die Dauer der Reise noch verlängern. Was wiederum die Intensität ihrer Klopfzeichen steigert und schließlich auch die spanische Polizei auf ihre Spur bringt.
»Black Brown White« ist das Spielfilmdebüt von Erwin Wagenhofer, der mit »We Feed the World« und »Let’s Make Money« dem international vorher meist durch Nikolaus Geyrhalter, Ulrich Seidl oder Michael Glawogger vertretenen Ruf des österreichischen Dokumentarfilms eine eigene, globalisierungs- und raubtierka-pitalismus- und konsumgesellschaftskritische Facette hinzufügte. Für seinen ersten Spielfilm hat Wagenhofer sich gut dokumentiert, war lange mit echten Fernfahrern unterwegs auf Europas Autobahnen und beobachtete ein paar reale Tricks, die Trucker anwenden, um unbehelligt Grenzen zu passieren. Die Choreografie mit zwei baugleichen Lastern, deren Kfz-Kennzeichen und Papieren zum Beispiel ist zu perfekt, um nicht aus dem Leben gegriffen zu sein. Und auch die schöne Episode mit der läufigen Hündin, die die Schnüffelhunde der Grenzpolizisten aus der Fassung bringt, hat Wagenhofer selbst erlebt (nur dass die in Wirklichkeit eher nicht dazu führen würde, dass ein nicht fertig untersuchter Laster daraufhin einfach so durchgewinkt wird).
Gelegentlich gerät Wagenhofer in Gefahr, mit aufklärerischen Monologen die Glaubwürdigkeit seiner Figuren zu unterminieren. Dann wird sein Film didaktisch, schon weil der Gesamtzusammenhang nicht viel Neues birgt. Dass Europa sich verbarrikadiert gegenüber den Glückssuchern aus dem Süden und Osten, dass die sich davon aber nicht abhalten lassen und es wieder und wieder und immer wieder versuchen mit dem Übersetzen, mit der illegalen Einreise, ist hinreichend bekannt. Die heuchlerische Doppelmoral, mit der Spanien schwarzafrikanische Arbeitskräfte duldet, die ohne Papiere in den Gewächshäusern von Almería schuften, weil sich nur so die Preise für Europas Massengemüse niedrig halten lassen, ebenso. Und auch auf die Geisterstädte ungenutzter Spekulationsobjekte an Spaniens Küste richtete Wagenhofer schon in »Let’s Make Money« seinen aufklärerischen Blick.
Manchmal kann Wagenhofer aber auch auch überraschen, und gelegentlich findet er ohne viele Worte höchst einprägsame Bilder für die Absurdität der Gesamtlage, die Menschen zu Illegalen macht und kriminelles Handeln zumindest begünstigt. Und für die wird in diesem konkreten Fall der innerlich längst vom Schlepper zum Fluchthelfer mutierte Don Pedro am Ende wohl den höheren Preis bezahlen.
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