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Käfig aus Scham

Gounods »Faust« (Margarethe) in Weimar

  • Irene Constantin
  • Lesedauer: 2 Min.

Als Charles Gounods Oper »Faust« 1859 in Deutschland bekannt wurde, gab es Gelehrtenschelte. Kein faustisches Streben, zu viel Sentiment. Das Werk, unter dem Namen »Margarethe«, wurde der Deutschen liebste französische Oper.

Regisseur Karsten Wiegand, Weimars Operndirektor, fand, die Germanisten hätten Recht, schalt aber nicht, sondern inszenierte große, lyrische Oper. Obwohl Ilse Welters Kostüme Gegenwart andeuten und Bärbl Hohmanns Bühnenbild mit Aufklapphäusern und Bühnchen auf der Bühne explizit von Theater spricht, gelang ihm die Tragödie der katholischen Unschuld aus der Kleinstadt glaubwürdig. Sie bringt ihr Kind nicht um, sondern gibt es weg; ihr Kerker ist der unbarmherzige Käfig aus Scham und Leid und Mobbing und Verlassensein.

Marguerite hat ihr Herz an eine so unfassbar trübe Tasse von Mann gehängt, wie es nur bei späten ersten Lieben irgend denkbar ist. Larissa Krokhina wirkt fraulich und eher naiv als unschuldig; das kleine Gretchen hat sie hinter sich. Die seidige, am Schluss empfindungstiefe Stimme passt zu genau dieser Figur. Die genauen, lyrischen Linien, die Artjom Korotkov dem hoffnungslos verklemmten und gänzlich willenlosen jungen Faust zu schenken vermochte, wirkten fast unglaubwürdig. Man traut ihm nicht einmal zu, schwärmen zu können.

Alexander Günther gibt den Faust vor der Verjüngung als muffigen Frührentner, der nichts will als Jugend, um dann mittels neu erwachter Säfte versäumte Liebschaften und Bordellbesuche nachzuholen. Als der Zuhälter Méphistophélès - weißer Smoking, Schmachtlocke und Remigiusz Lukomskis verführerisch geschmeidiger Bass - dann den jungen Faust aus dem Souffleurkasten zaubert, will der Alte gar nicht abtreten. Er sieht schon: Das wird wieder nichts. Das Duett des frisch verjüngten Faust mit Mephisto weitet Wiegand zum Terzett.

Neben dem unopernhaft präzisen Spiel, das der (Schauspiel)-Regisseur Wiegand vor allem den beiden Faust-Sängern entlockte, bewies er auch einen willensstarken Zugriff auf das Genre Oper. Wie er Mephistos Rondo vom Goldenen Kalb zum Gesellschafts-Sound weitet, den Charakter des immer wiederkehrenden Walzers seinen unterschiedlichen Funktionen im Spiel anpasst, den formidablen Chor führt oder auf die Stimmfarben seiner Solisten eingeht, verleiht der Produktion außerordentliche Qualität.

Unentbehrlicher Partner des Regisseurs: der junge Kapellmeister Felix Bender. Er hat das Feuer der Jugend und wusste es der Staatskapelle Weimar mitzuteilen.

Nächste Vorstellung: 31.10.

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