Merkelsche Art der Leidenschaft
Bundeskanzlerin redet schwarz-gelbe Zwischenbilanz schön
Traditionell tritt Bundeskanzlerin Angela Merkel vor ihrem Sommerurlaub vor die Presse, um noch einmal die Politik der vergangenen Monate Revue passieren zu lassen. Dies dürfte ihr schon lange nicht mehr so schwer gefallen sein wie gestern. Denn die Bilanz von Union und FDP fällt verheerend aus. Zu Buche stehen unter anderem das halbherzige Konzept zum Ausstieg aus der Atomenergie inklusive Ausbau klimaschädlicher Kohlekraftwerke sowie der vielfach kritisierte Panzerdeal mit dem diktatorischen Regime in Saudi-Arabien. Die Folge ist, dass Schwarz-Gelb in Umfragen 13 Prozentpunkte hinter Rot-Grün zurückliegt.
Zu den Themen Rüstungsgeschäft und Energiewende äußerte sich Merkel mit den bekannten Floskeln. Für das Erreichen der Klimaschutzziele werde alles Mögliche getan. Und bei Waffengeschäften müsse man zwischen Demokratie und Menschenrechten sowie Sicherheitsinteressen und Stabilität abwägen.
Die Kanzlerin war dagegen sichtlich bemüht, sich am Strohhalm Wirtschaftszahlen festzuklammern. »Deutschland geht es so gut wie lange nicht«, verkündete sie. Nach der Krise war die deutsche Wirtschaft 2010 um 3,6 Prozent gewachsen. Die Beschäftigung nehme zu, sagte Merkel, ohne dabei auch nur einen Satz über den wachsenden Niedriglohnsektor zu verlieren. Auch die vor kurzem vorgebrachte Kritik der UN an der deutschen Sozialpolitik scheint sie nicht beeindruckt zu haben. Die Kanzlerin sprach von einer Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, seit Anfang des Jahres ein Kompromiss zum Hartz-IV-Gesamtpaket beschlossen worden war, wonach unter anderem der Regelsatz stufenweise um ganze acht Euro erhöht werden soll.
Nachdem Angela Merkel lange Zeit die Hitliste der beliebtesten deutschen Politiker angeführt hatte, ist die Krise, in der die Bundesregierung derzeit steckt, auch an ihr nicht spurlos vorüber gegangen. Sie hatte in den vergangenen Monaten deutlich an Popularität eingebüßt. Besonders in der Europapolitik werden ihr Kompetenzen abgesprochen. Altkanzler Helmut Kohl soll sogar über »sein Mädchen« geäußert haben, dass sie ihm sein Europa kaputtmache.
Ohne größere Regung beteuerte Merkel, sie sei eine leidenschaftliche Europäerin – eine Merkelsche Art der Leidenschaft. Doch die Vision einer politischen EU scheint ihr zu fehlen. Merkel geht es nur um den Erhalt eines mächtigen Wirtschaftsraums, der sich gegen die aufstrebenden Schwellenländer behaupten kann. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, forderte die Kanzlerin die südeuropäischen Staaten zu weiteren Reformen auf – neoliberale Maßnahmen und ein Rückzug der öffentlichen Hand wohlgemerkt. »Es gibt in Griechenland viel staatlichen Besitz, der privatisiert werden kann«, erklärte Merkel. Dies sei eine Chance, um dort wieder Wachstum zu generieren. Deutlich wurde auch, wer davon künftig profitieren soll. Ein Marshall-Plan zum wirtschaftlichen Aufbau Griechenlands müsse letztlich auch von Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) entwickelt werden. Der deutschen Industrie könnte dabei eine wichtige Rolle zukommen. Zudem lobte Merkel die italienischen Sparanstrengungen und den Beschluss Spaniens, die Rente mit 67 einzuführen.
Ihre eigene bisher wenig wirksame Griechenland-Politik verteidigte Merkel. Die Eurokrise könne nicht durch einen Paukenschlag, sondern nur durch einen kontrollierten Prozess einzelner Schritte bewältigt werden. »Über Umschuldung wird doch leichtfertig geredet«, wandte sich Merkel gegen Konzepte der Opposition.
Ob sie sich 2013 noch einmal zur Wahl stellen will? »Meine Arbeit macht mir Spaß. Ich glaube nicht, dass sich das ändert«, antwortete Merkel. Ob das im letzten halben Jahr wirklich der Fall gewesen ist, darf bezweifelt werden.
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