Bunte Welt der Schwarzen Inseln
Ein neuer Bild- und Textband stellt die Kulturen Melanesiens vor
Völkerkundlich Interessierten ist der Autor ein Begriff: Roland Garve aus Geesthacht, Zahnarzt und Reisender zu indigenen Völkern. Zusammen mit seiner Partnerin Miriam legte er jüngst ein Standardwerk zu Melanesien vor.
Roland Garve vereint vieles in einer Person: Er ist zugleich Film- und Buchverfasser, Forscher und Dokumentarist, hält Verbindung zu Menschenrechtsorganisationen und behandelt Zahnschmerz mitten im Urwald.
Besonders angetan hat es ihm »Melanesien«, griechisch »Schwarzinselwelt«. Der Begriff bezeichnet die Inselgruppen nordöstlich von Australien mit ihren dunkelhäutigen Bewohnern. Eingeschlossen sind Neuguinea und die »Papua«, die »Kraushaarigen«.
Bis heute gelten vorwiegend Fremdnamen für Land und Leute dieses Teils der Südsee – das Erbe europäischer »Entdecker« und kolonialer Herrschaft. Auch viele Ureinwohner-Klischees leben weiter: grausame Wilde, Kannibalen …
Um so wichtiger sind sachliche Darstellungen der ethnischen und kulturellen Wirklichkeit Melanesiens wie im Buch von Roland und Miriam Garve. Die Vorfahren der Melanesier nahmen schon vor 10 000 Jahren ihren Archipel in Besitz. Wie viel Steinzeit hat überlebt?
Nach einer achtseitigen Begriffsbestimmung (Wer ist eigentlich Melanesier?) nehmen die Autoren ihre Leser mit in die entlegenen Waldregionen, Sümpfe und Gebirge West-Neuguineas – zu den Baumhäusern der Korowai, den Siedlungen der Din, der Asmat, der Dani, der Toru, der Marind-Anim, der Mek, der Yali, der Abelam, der Bewohner von Waigeo und des Sepik-Gebietes. Sie besuchen die Inselvölker von Trobriand, Neubritannien, Neuirland, Santa Cruz, Buka und Bougainville, Neukaledonien, Pentecost, Malekula …
Das Buch enthält teils unglaubliche Bilder archaischer Lebensweisen – entbehrungsreich aber autark und mit Sicherheit »nachhaltig«. Selbstbewusste Menschen blicken in die Kamera, geschmückt mit Federn, Schweinezähnen, Knochen, Kalebassen. Schnitzkunst ziert ihre Häuser, Waffen, Masken, Statuen. Sie pflegen Kontakt zu den Ahnen, respektieren Geister und Dämonen. Jagd, Fischfang, Siedlungen und Gartenbau entsprechen den Bedingungen der Natur.
Melanesier setzen so manche Rekorde: mit der schwindelerregenden Höhe mancher Korowai-Baumhäuser, dem Ur-Bungee-Turmsprung von Pentecost und vor allem – mit der Vielfalt der Sprachen; allein auf Neuguinea sind es 850.
Die Autoren ergänzen ihre Beiträge mit alten ethnologischen Texten und Fotos – unter anderem aus dem Fundus aus kolonialdeutscher Zeit (1884 bis 1921). Dieser ist ein eigenes Kapitel gewidmet: »Kaiser-Wilhelms-Land, Neumecklenburg, Neupommern und die Rolle der deutschen Forscher und Siedler in Melanesien«.
Am Buchende findet sich eine ausführliche Geschichte Melanesiens in Daten (1526-2007). Zuvor das Gruselthema »Kopfjagd, Menschenopfer und Kannibalismus« mit vielen sachlichen Richtigstellungen. Und »Lebensraum Melanesien« inklusive der Gefährdung seiner Ökosysteme und der indigenen Bewohner – durch Holzeinschlag, Straßenbau, Erzminen …
Bei einer Neuauflage des Buches sollten die fehlenden Bildunterschriften ergänzt werden. Und alle historischen Fotos sollten Jahresangaben erhalten. Auch die Farbbilder? Bedenkt man die Geschwindigkeit des »Kulturenwandels« Melanesiens, wären wohl auch hier Jahreszahlen hilfreich.
Roland und Miriam Garve: Unter Papuas und Melanesiern. Von kunstsinnigen Kannibalen, Kopfjägern, Baumhausmenschen, Sumpfnomaden, Turmspringern und anderen Südsee-Eingeborenen. Jena, Quedlinburg, Plauen: Verlag Neue Literatur (2010), 244 S., Großformat, 34,90 Euro.
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