Ruhe und Klasse

Die designierte Intendantin des Hebbel am Ufer, Annemie Vanackere, über Avantgarde und Heimat

  • Lesedauer: 4 Min.
Annemie Vanackere hat den Sprung gewagt. Die gebürtige Belgierin, die seit 15 Jahren die Rotterdamse Schouwburg zu einer international respektierten Bühne des Avantgardetheaters gemacht hat, kommt nach Berlin. Sie übernimmt ab 2012 für fünf Jahre das Hebbel am Ufer (HAU), das von Matthias Lilienthal binnen neun Jahren zu einer sich rasant drehenden Experimentalplattform verwandelt wurde. Mit Vanackere könnte es in Zukunft weniger turbulent, aber mit mehr Klasse zugehen. Mit der 44-Jährigen sprach TOM MUSTROPH.
Annemie Vanackere ist die designierte Leiterin des Hebbel am Ufer (HAU).
Annemie Vanackere ist die designierte Leiterin des Hebbel am Ufer (HAU).

ND: Ihre Berufung war eine Überraschung. Niemand hatte Sie auf der Liste. Wann haben Sie vom Zuschlag erfahren?
Vanackere: Ich wusste es vor einer Woche. Da kam der Anruf von der Senatskanzlei. Wir waren uns mündlich einig. Die Unterschrift unter den Vertrag haben wir aber tatsächlich erst bei dem Pressetermin geleistet. Dass vorher nichts darüber bekannt wurde, ist doch gut, oder?

Für Berlin ist das tatsächlich eine Leistung. War es die Stadt oder das Theater, das Sie bewogen hat, den Schritt von Rotterdam hierher zu machen?
Beides. Das HAU ist ein großartiges Theater. Ich wäre aber nicht zum HAU gegangen, wenn es sich in einer anderen Stadt befunden hätte. Und ein anderes Theater in Berlin hätte mich auch nicht derartig angezogen. Ich muss allerdings sagen, dass ich mich so detailliert in Berlin noch nicht auskenne.

Wann fangen Sie an, dies zu ändern?
Ich habe ein Jahr Vorbereitungszeit. Die beginnt full time im Januar 2012. Aber ich werde auch vorher nicht meinen Kopf ausschalten, da können Sie sicher sein. Im Juli bin ich einen Monat in der Stadt für einen Sprachkurs im Goethe-Institut. Weil im Juli viele in Urlaub sind, wie man mir sagte, hoffe ich, auch im Juni und im August etwas hier sein zu können. Im September findet dann mein eigenes Festival in Rotterdam statt. Wir sind ein kleines Team, ich muss vor Ort sein. Und es müssen dort auch die Planungen für den nächsten Vierjahreszeitraum gemacht werden. In den Niederlanden sind Kürzungen um die 30 Prozent angekündigt. Das ist ein enormer Einschnitt. Da ist viel von der guten Infrastruktur gefährdet.

Da kommt der Sprung nach Berlin vermutlich nicht ungelegen. Welche Bedingungen haben Sie hier? Welcher Etat wurde Ihnen zugesichert?
Was ich sagen kann, ist: Das HAU wird in den nächsten Jahren nicht mehr, aber auch nicht weniger Geld erhalten. So lauten die Absprachen.

Was bringen Sie aus Rotterdam mit nach Berlin, an Künstlern, an Mitarbeitern, an Ideen?
Ich habe gehört, in Deutschland ist es üblich, dass neue Intendanten ihre Mitarbeiter mitbringen. Ich werde das nicht tun. An Künstlern gibt es bereits einige Überschneidungen zwischen dem HAU und der Rotterdamse Schouwburg. Ich habe das erste Stück von Chris Kondek mit herausgebracht. Als Rimini Protokoll noch am Mousonturm in Frankfurt/Main arbeiteten, liefen deren erste Produktionen schon bei uns. Mit Nícola Unger ist jetzt bei uns eine weitere Berliner Künstlerin tätig. Es wird also Kontinuitäten geben. Für ein detaillierteres Bild ist es aber noch zu früh.

Werden Sie das Haus internationaler ausrichten? Welchen Raum werden Berliner Künstler einnehmen können?
Ich habe die Erfahrung gemacht, als Zuschauerin wie als Theaterleiterin, dass es sehr wichtig ist, internationale Positionen zu zeigen. Das weitet die Perspektive und beeinflusst natürlich auch die lokalen Künstler – die in Berlin selbstverständlich auch sehr oft schon international sind. Für mich stellen internationale und lokale Künstler ein System miteinander kommunizierender Röhren dar: Fließt in die einen etwas hinein, ändert sich auch der Pegelstand bei den anderen. Dort einen Dialog zu intensivieren, würde mir gefallen

Was begeistert Sie selbst am Theater?
Ich schätze Theater als einen geschützten Raum, in dem ich Leben prüfen und tiefe Erfahrungen machen kann. Im Kino wird man förmlich hineingezogen in die Leinwand. Im Theater hat man die Möglichkeit zu denken und zu reflektieren.

Was stellte Ihre erste tiefe Berührung mit Theater dar?
Das war Rosas »Rosas danst Rosas«. Ich war 17, meine Mutter hat mich im Auto zur Vorstellung gefahren. Ich war bis dahin nur mit klassischem Ballett vertraut. Als ich diese vier jungen Frauen auf der Bühne sah, wusste ich plötzlich, dass es sich um mich dreht. Dass es nicht um Schleifen und Rüschen und kodifizierte Bewegungen geht, sondern um das Leben selbst. Danach habe ich Epigonentheater, die Vorläufer von der Needcompany erlebt, bin mit der Toneelgroep, Maatschappij Discordia, Alain Platel und Forced Enterntainment groß geworden. Die erste Produktion von Meg Stuart, die ja fast mein Jahrgang ist, fand statt während des Klapstuk Festival in Leuven 1991, wo ich damals arbeitete.

Ist das bereits eine Programmbeschreibung für die nächsten fünf Jahre HAU?
Nicht unbedingt. Sie haben nach prägenden Erlebnissen gefragt. Manchmal gehen die Wege auch auseinander, wenn man älter wird. Die Künstler ändern sich, man ändert sich selbst.

Gibt es einen Kerngedanken, dem Sie am HAU nachgehen wollen?
Zuletzt haben wir uns in Rotterdam das Motto »A Sense of Belonging«. gegeben. Aspekte von Zugehörigkeit, vom sich zu Hause Fühlen, sind mir wichtig. Ich möchte, dass das HAU eine Heimat der Künstler und des Publikums wird.

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