Gespenster

Stuart Neville: »Die Schatten von Belfast«

  • Walter Kaufmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Ausverkauf Terror
Ausverkauf Terror

Im Anhang seines Buches zählt Stuart Neville (ein Ire aus Belfast, Schauspieler, Musiker, jetzt Schriftsteller) zwölf Leute auf, die ihm beim Schreiben zur Seite gestanden hatten. Sie werden ihn nicht gewarnt haben, dass er seine Grundidee über die Maßen strapazierte: Gerry Fegan, ein nach zwölfjähriger Haft aus dem Belfaster Gefängnis Maze entlassener IRA-Kämpfer, sieht sich von Gespenstern verfolgt, die den Opfern seiner Terror Anschlägen von damals gleichen – ein Metzger ist dabei, eine Mutter mit Säugling, drei britische Soldaten und weitere mehr: zwölf Tote insgesamt. Sie fordern Vergeltung, wollen, dass er seine einstigen Auftraggeber zur Strecke bringt – Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Das treibt Fegan um, treibt ihn von Kneipe zu Kneipe, ohne dass er die Gespenster los wird. Sie umkreisen ihn ständig, bedrängen ihn, machen ihn zum Vollstrecker ihres Willens. Gerry Fegan wird wieder zum Mörder. Wie er seine Taten plant und ausführt ist – das muss gesagt werden – durchaus spannend. Und aufschlussreich ist, wem er ans Leben will: Es sind durchweg solche, die ihn einst zu Gewalttaten angestachelt und für die er gemordet hatte. Sie alle haben sich im gewandelten Belfast gewandelt, die IRA-Führer sind Politiker geworden, die ihr Scherflein ins Trockene bringen konnten, oder auch Geschäftsleute – der einstige IRA-Mann Bull O'Kane, zum Beispiel, züchtet Kampfhunde. Reich sind sie alle inzwischen, Besitzer von Strandvillen und Luxusautos, und sie spinnen ihre Fäden im Geheimen. Was nicht wenig aussagt über ein in die EU eingebundenes Nordirland.

Der nach langer Haft in die Konsumgesellschaft entlassene Gerry Fegan gerät aus den Fugen, er unterliegt jenen Gespenstern und bleibt ihnen, so überzogen das auch anmuten mag, in allem zu willen: Er schreitet von Mord zu Mord. Und in der Verbindung zu einer Frau, die durch eben jene in Bedrängnis ist, die er sucht, wird er zu einem Stalker des Grauens.

»The Twelve« – so der Originaltitel dieses Buches. Und in der Tat, es endet nicht, bis jene zwölf beseitigt sind – erst danach wird Gerry Fegan sich von den Gespenstern befreien, die unablässig vor ihm aufgetaucht waren und ihn von Tat zu Tat gehetzt haben, bis hin zu einem schier unfassbaren Blutbad – und zur endgültigen Abkehr von seiner Heimat. Mit dem gesamten Salär, das ihm für seine einstigen IRA-Dienste ausgezahlt worden war, wird Gerry Fegan im Hafen von Donegal zwei chinesische Seeleute bestechen, dass sie ihn auf ihren Frachter schmuggeln und außer Landes bringen...

Ende gut – alles gut? Nein. Hier wurde ein Mann von seiner Vergangenheit eingeholt und total zerrüttet, zerschunden und mehr tot als lebendig ins Ungewisse verstoßen. Und damit entlässt Stuart Neville den Leser aus seinem Roman.

Stuart Neville: Die Schatten von Belfast. Thriller. Übersetzt von Armin Gontermann. Rütten & Loening. 440 S., geb., 19.95 €.

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