Vergessene Kita für behinderte Kinder

Paritätischer Wohlfahrtsverband in Sachsen fordert bessere Integration: Ziel ist eine »Kita für Alle«

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Behinderte Kinder werden in Sachsen oft noch in heilpädagogischen Kitas betreut, die aber gegenüber regulären Kitas schlechter gestellt sind. Der Paritätische Wohlfahrtsverband plädiert deshalb dafür, behinderte und gesunde Kinder gar nicht mehr zu trennen.

Ein Mädchen mit einem Herzfehler, ein Wirbelwind, der sich jedoch trotz seiner fünf Jahre kaum artikulieren kann: In der Dresdner Kita »Gorbitzer Sonnenland« werden Kinder mit unterschiedlichsten Behinderungen betreut. Auch ein Junge, der wegen seiner Glasknochen im Rollstuhl sitzt, sei zeitweilig hierher gekommen, sagt Leiterin Hannelore Jacob. Die gesunden Kinder erfahren so, dass es »Menschen gibt, die anders sind als sie«, sagt Jacob, die beeindruckt ist von der gegenseitigen Hilfsbereitschaft und Rücksichtnahme. Beide Gruppen »sollten überall gemeinsam die Kita besuchen«, sagt sie, »weil das ihr Leben bereichert.«

Eine Kita wie das »Sonnenland«, in der gesunde Kinder, solche mit Entwicklungsverzögerungen, sozialen oder mit Sprachauffälligkeiten gemeinsam leben und lernen, sind indes in Sachsen längst nicht die Regel. Viele behinderte Kinder besuchen separate heilpädagogische Kitas, die jedoch, wie der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisiert, benachteiligt sind. Bei der Erstellung eines Bildungsplans, der die frühkindliche Bildung im Freistaat regelt, »hat man nicht an sie gedacht«, sagt Maria Groß, Referentin für Kinderbetreuung. Angebote für den Übergang in die Grundschulen gibt es nicht. In ländlichen Gegenden finden sich heilpädagogische Einrichtungen zudem selten in Wohnortnähe. Insgesamt, sagt Groß, seien diese Kitas »vergessene Kinder« des Bildungssystems.

Der Wohlfahrtsverband will das ändern. Anlässlich eines heutigen europaweiten Protesttags für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen plädiert er für eine »Kita für Alle«. Die Landespolitik solle Voraussetzungen dafür schaffen, sagt Groß – was zunächst bedeutet: gleiche Zuständigkeit. Für reguläre und Integrationskitas ist seit 2009 wie für die Schulen das Kultusministerium zuständig; heilpädagogische Angebote obliegen – weil es vordergründig um die Betreuung Behinderter geht statt um Bildung – dem Sozialministerium.

Würden heilpädagogische Angebote wie im »Gorbitzer Sonnenland« überall in reguläre Kitas integriert, brauche es zudem mehr Personal, dessen Zahl sich flexibel am jeweiligen Betreuungsbedarf orientieren müsse, sagt Groß. Auch Fachberatung sei in größerem Umfang notwendig – die es für heilpädagogische Einrichtungen bisher überhaupt nicht gibt. Zudem müsse die unterschiedliche Finanzierung der Kitas, an der bisher neben Land, Kommunen und Eltern teils Sozialhilfeträger, teils die Jugendhilfe beteiligt ist, neu sortiert werden.

Mit einer gemeinsamen Betreuung werde nicht nur der 2009 in deutsches Recht umgesetzten UN-Charta für die Rechte Behinderter Genüge getan, sagt Andreas Oschika, der beim Paritätischen für Eingliederungshilfen zuständige Referent. »Das Miteinander spornt die Kinder auch an«, sagt Groß. Anfänglich seien Eltern oft skeptisch, ergänzt »Sonnenland«-Chefin Jacob; meist seien sie aber schnell angenehm überrascht über die Effekte gemeinsamer Betreuung. Die behinderten Kinder »erleben eine solidarische Gemeinschaft«, betont sie; die nicht Behinderten »entwickeln Hilfsbereitschaft und andere soziale Kompetenzen«. Eine Grenze dafür, bis zu welchem Grad eine gemeinsame Betreuung möglich ist, sei höchstens von den Rahmenbedingungen gesetzt – etwa, welches Fachpersonal in der Kita arbeite oder wie sie gebaut sei. Der kleine Rollstuhlfahrer im »Sonnenland« etwa kam nur ins Erdgeschoss – weil ein Fahrstuhl fehlt.

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