Die Begeisterung soll neu entflammen

USA: Früher als alle Vorgänger beginnt Barack Obama den Kampf um seine Wiederwahl

  • John Dyer, Boston
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit der frühen Ankündigung seiner Kandidatur für eine zweite Amtszeit will US-Präsident Obama nicht nur bald mit dem Spendensammeln beginnen. Er braucht die Zeit auch, um die Graswurzel-Bewegung neu zu beleben, die ihn 2008 ins Amt gebracht hat.

Obama hat sich früher als alle seine Vorgänger entschieden, seine Kandidatur für eine Wiederwahl anzumelden. Erst im November 2012 entscheiden die US-Amerikaner, ob sie ihm für eine zweite und letzte Amtszeit ihre Stimme geben. Die Ankündigung machte der Präsident vor wenigen Tagen zunächst im Internet in einer Mitteilung an seine Anhänger. Die massive Unterstützung dieser Internetgemeinde hatte dem jungen Senator aus Illinois im November 2008 ins Weiße Haus geholfen. Als offizieller Kandidat für eine zweite Amtszeit kann Obama schon jetzt beginnen, Spenden zu sammeln. Amerikanische Wahlkämpfe sind teuer. Seine Wahlkampfmanager hoffen, eine Milliarde Dollar an Spenden einzunehmen – 250 Millionen mehr, als er 2008 zusammenbringen konnte.

Bevor der Reigen der Spendengalas und Spendenaufrufe beginnt, muss Obama versuchen, die sogenannte Graswurzel-Begeisterung unter jungen, nicht an eine der großen Parteien gebundenen Wählerschichten wiederzubeleben. Im Wahlkampf 2008 hatte er dies erfolgreich vermocht. Die Liste der Wähler, die sich damals für seine Netz-Mitteilungen registrieren ließen, hat Obama noch. Jetzt hofft er damit, die jungen Aktivisten wieder zu mobilisieren, die vor zweieinhalb Jahren für den Wandel – »Change« – mit Obama kämpften. »Wir machen das, weil die Politik, an die wir glauben, nicht mit teuren Fernsehanzeigen oder Außergewöhnlichem beginnt, sondern mit Euch – mit Leuten, die sich von Wohnviertel zu Wohnviertel organisieren, die mit den Nachbarn sprechen, mit Arbeitskollegen und Freunden«, schrieb Obama in seiner E-Mail an die Anhänger aus dem letzten Wahlkampf.

Ob Obama 2012 die magische Begeisterung von 2008 wiederbeleben kann, ist völlig offen. Obama wollte seinerzeit Washington und den Politbetrieb dort verändern. Aber er ist alles andere als ein Revolutionär. Er ist inzwischen Bestandteil des alten politischen Systems geworden, das er verändern wollte. Er hatte Krisen zu verwalten, Rettungsaktionen für die Industrie und die Banken einzuleiten, das Finanzsystem neu zu regulieren, eine ungeliebte Gesundheitsreform durchzusetzen, die größte Umweltkatastrophe der USA – im Golf von Mexiko – zu bekämpfen, Kriege in Afghanistan, Irak und jetzt Libyen zu führen. Obama ist nicht mehr die Ikone es Wandels sondern ein Amtsinhaber, der nun darum kämpft, dass sein Status quo erhalten bleibt.

Und: Obama wird angegriffen, mit Energie und Begeisterung von der rechten Tea Party-Bewegung, die am liebsten die Regierung stark zurechtstutzen möchte. Sie hat inzwischen ihre Vertreter im US-Kongress. Und sie hat die politischen Koordinaten verschoben. Obama, der einst linksliberale Hoffnungsträger, gibt sich heute als ein Mann der Mitte; dort werden auch in den USA Wahlen gewonnen. Seine Zustimmungsraten liegen bei rund 50 Prozent.

Allerdings bestimmt nicht mehr der demokratische Präsident die politische Agenda in Washington, sondern seit ihrem Erfolg bei den Kongresswahlen im vergangenen Herbst die Partei der Republikaner. Die Konservativen zwingen Obama, seine Politik des Geldausgebens zu ändern oder die vorübergehende Schließung der Bundesbehörden in Kauf zu nehmen. Am Freitag steht wieder so ein Termin an: Verlängert der Kongress die Ausgabenermächtigungen für die Regierung nicht, müssen hunderttausende Bundesbeamte pausieren. Der von den Republikanern geforderte Preis für die Verlängerung des Geldstroms sind Milliarden-Einsparungen im nächsten Haushalt. Ihre Stärke kommt auch vom Versagen der Obama-Politik in einer Kernfrage: Die Arbeitslosigkeit in den USA ist immer noch zu hoch, knapp unter zehn Prozent.

Wie 2008 nutzt Obama in seinem Internetaufruf Einsendungen von Anhänger, um Stimmung für sich zu machen. So schreibt eine Latina aus Nevada namens Gladys: »Es gibt noch so viel zu tun. Und wir wollen, dass Präsident Obama es anpackt.« Experten wie Cal Jillson von der Universität in Dallas sehen die übliche Masche von Politikern, die ihr Wahlversprechen nicht ganz umsetzen konnten: »Meine politische Agenda ist noch nicht abgearbeitet. Ich brauche eine zweite Amtszeit. Dann kann ich viele große Dinge tun.«

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