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Debatte ohne Frankreich

  • Charlotte Noblet
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Französin Charlotte Noblet arbeitet als Journalistin – unter anderem für »l'Humanité« – und Bloggerin (auch auf der ND-Internetseite) in Berlin.
Die Französin Charlotte Noblet arbeitet als Journalistin – unter anderem für »l'Humanité« – und Bloggerin (auch auf der ND-Internetseite) in Berlin.

»Ich sehe keinen Grund zum Abschalten französischer AKW«, sagte der Präsident der französischen Behörde für Nuklearsicherheit am Mittwoch in Helsinki. Trotz der Katastrophe im japanischen Fukushima und der Anti-Atom-Mobilisierungen in Frankreich lehnt Präsident Nicolas Sarkozy den Ausstieg aus der Atomkraft ab – und lenkt die Medienaufmerksamkeit auf seinen Exfreund Muammar al-Gaddafi. Und wieder einmal geht die Debatte über Kernenergie an Frankreich vorbei.

Miserabel ist bisher das Verhalten der französischen Regierung. Paris fordert »systematische Kontrollen aller frischen Lebensmittel« aus Japan – und betont, ein Embargo wäre noch nicht nötig. Die deutschen, französischen und Schweizer Forderungen nach einer Schließung des Atomkraftwerks Fessenheim, Jahrgang 1977, im Elsass werden lächerlich gemacht: »Das ist, als ob man das Abreißen aller Gebäude in Paris forderte, die älter als 20 Jahre sind!«, sagte am Mittwoch Henri Proglio, Chef des französischen Energieversorgungskonzerns EDF.

An der deutsch-französischen Grenze ist die »Keine-Debatte-Situation« bestens zu spüren. Dort kontrastiert das Schweigen der französischen Volksvertreter zu dem alten AKW in Fessenheim mit den Aussagen ihrer deutschen Kollegen, die wenigstens ein Moratorium »à la Deutsch« fordern. Die französische Regionaltageszeitung »L'Alsace« kann mittlerweile nur noch mit viel Ironie mit diesen unterschiedlichen Kulturen der Verantwortung umgehen: »Absolutes Vertrauen ins System«, »Macht der Gewohnheit« und »Kultur der industriellen Risiken« bei den Franzosen gegen »Paranoia«, »Kleinmütigkeit« und »schlechtes Informationsniveau« bei den Deutschen.

In der Grande Nation wurden jahrzehntelang Kaufkraft der Haushalte und Konkurrenzfähigkeit der Firmen mit Billigstrom aus Kernenergie gedopt. 12,5 Eurocent die Kilowattstunde in Frankreich gegen 23,7 Eurocent in Deutschland heißt es derzeit noch. Nun hat EDF die französische Regierung um die Genehmigung eine Erhöhung der Strompreise für Privatverbraucher um 4,7 Prozent pro Jahr zwischen 2011 und 2015 gebeten. Dies und der Zusammenhang zwischen Billigstrom und Nuklearenergie wird vielleicht den Ausschlag für eine ernsthafte Debatte über Atomkraft und erneuerbare Energien geben.

Die Panne der Nuklearideologie in Europa nach den Ereignissen in Japan könnte einen anderen Verlauf nehmen: Im Namen der atomaren Sicherheit wirbt nämlich Frankreich für den Reaktor dritter Generation »European Pressurized Water Reactor« (EPR), vm französischen Weltmarktführer der Atomindustrie AREVA entwickelt. Beim EU-Ministerrat sprach schon Anfang der Woche Eric Besson, der französische Minister für Energie und Industrie, von »der Kernenergie der Zukunft«. Und beim gegenwärtigen Gipfel in Brüssel diskutieren die 27 Mitgliedsstaaten heftig um die »Stresstests« für die 143 europäischen AKW. Erneut wird dabei das Sicherheitskonzept des EPR von AREVA erwähnt.

Die französische Regierung schwimmt gegen den Strom und die Anti-Atom-Bewegungen in Frankreich sehnen sich nach wie vor nach einer demokratischen Debatte über Energiepolitik. Der Lobbyismus der französischen Atomindustrie ist so stark, dass die Hoffnungen auf eine Änderung der Haltung Frankreichs mittlerweile von den Aktionen und Entscheidungen in europäischen Nachbarländern getragen werden. Die Nuklearfrage geht über die Grenzen hinaus – und bisher um Frankreich herum.

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