Grenzüberschreitung

J. Bobrowski, C. Reinig und K. Bartsch in Wagenbach-Bänden

  • Kai Agthe
  • Lesedauer: 3 Min.

Zu seinem 80. Geburtstag hat der Berliner Verleger Klaus Wagenbach sowohl seine Leser als auch sich selbst beschenkt. In blassblauer Broschur legte er Gedichtbände von Johannes Bobrowski, Christa Reinig und Kurt Bartsch vor. Die schlicht gestalteten »Oktavhefte« erinnern an die ersten Publikationen des 1965 in West-Berlin gegründeten Verlags, die durchaus grenzüberschreitend waren.

Zu den Autoren der ersten Stunde zählte Johannes Bobrowski mit dem Erzählungsband »Mäusefest«. Unter dem beredten Titel »Nachbarschaft« legt Wagenbach nun eine Auswahl von Gedichten des 1917 in Tilsit geborenen und bereits 1965 in Berlin/DDR gestorbenen Dichters vor. Bobrowskis Werk ist in der Dichtung nach 1945 einzigartig. Sein Thema als Lyriker und Erzähler war Sarmatien, also das – mythisch überhöhte – östliche Europa, diese »verlorene, ängstlich beschwiegene Landschaft« (Klaus Wagenbach), und seine Menschen. Das wurde Anfang der sechziger Jahren von vielen DDR-Schriftstellerkollegen als politisch inkorrekt beargwöhnt und von der Politbürokratie als revanchistisch gegeißelt. Franz Fühmann notierte in »22 Tage oder Die Hälfte des Lebens« (1973): »Ich muss gestehen, dass ich anfangs seiner (Bobrowskis) Lyrik schroff ablehnend gegenübergestanden bin, ja in ihr etwas Unerlaubtes gesehen habe: Das Wachhalten, vielleicht sogar Wiedererwecken von Gefühlen, die aussterben mussten ... Doch aus der Geschichte lässt sich nichts tilgen.«

Obwohl Bobrowski auch die klassischen Vers- und Reimformen beherrschte, sind seine bekanntesten Texte in freien Rhythmen verfasst. Programmatisch ist das Gedicht »Kindheit«, das auch am Beginn dieses Bändchens steht und dessen Klammer die Verszeile »Da hab ich den Pirol geliebt« bildet. Es geht in den weiteren Texten um die Topografie, die Flora und Fauna sowie die Menschen jener östlichen Hemisphäre, die von der Weichsel bis zur Wolga reicht, nach 1945 in weite Ferne rückte und von Bobrowski, in Anlehnung an Griechen und Römer, eben Sarmatien genannt wurde. Ein zweiter Schwerpunkt hier sind Porträtgedichte für die Günderrode, Mickiewicz und Klopstock, der Bobrowskis »Zuchtmeister« war. Die Lyrik Bobrowskis lehrt, ganz im Sinne Fühmanns, dass sich Geschichte nicht retuschieren lässt.

Christa Reinig (1926-2008) blieb 1964 in der Bundesrepublik, nachdem sie 1951 wegen nonkonformistischer Haltung in der DDR mit Publikationsverbot belegt wurde. »bitte herrschaften verzeiht / solche unanständigkeit«, heißt es in der »Ballade vom blutigen Bomme«, die Reinig bekannt machte. In der Auswahl »Feuergefährlich« dominieren Texte, die in strengen lyrischen Formen geschrieben sind. Christa Reinig wurde scheinbar alles zum Gedicht: Der Pirat, Robinson, das Ahornblatt, der Turm. Sie war aber auch eine politische Autorin, wie die mehrdeutige letzte Strophe von »Der heitere Misanthrop« zeigt: »Irgendwo in Washington / steht ein rotes Telefon. / Könnt' ich doch den Draht zerschneiden / Und mich an den Folgen weiden.« Den Titel zum Buch lieh ein hier zu lesender, sehr berührender Prosatext über Reinigs Kindheit in der Berliner Ackerstraße, den sie für die von Wagenbach initiierte Anthologie »Atlas« (1965) schrieb. Die widmete man posthum Johannes Bobrowski, der in »Atlas« mit der Erzählung »Der Mahner« vertreten ist.

Kurt Bartsch hat seine Gedichtauswahl »Tango Berlin« noch selbst zusammengestellt, konnte aber, da er im Januar 2010 verstarb, deren Erscheinen nicht mehr erleben. Seine Texte sind überaus anregend und könnten auch jungen Menschen den nicht eben einfachen Weg zur Lyrik ebnen. An Bobrowski denkt man bei Bartschs schönen lyrischen Porträts zu Jakob Lenz, Heinrich von Kleist, Rosa Luxemburg und Jakob van Hoddis. An Brechts Gedicht »Fragen eines lesenden Arbeiters« (»Cäsar schlug die Gallier / Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?«) erinnert in gewisser Weise Kurt Bartschs »Adolf Hitler ganz allein«: »Adolf Hitler ganz allein / Baute er die Autobahn. / Keiner trug ihm einen Stein / Keiner rührte Mörtel an.«

Und mag Günter Eich seinerzeit »Urin« auf »Hölderlin« gereimt haben, bereichert Bartsch in einem Gedicht auf Gottfried Benn die Dichtung um das Reimpaar »Berlin« und »Kokain«.

Johannes Bobrowski: Nachbarschaft; Christa Reinig: Feuergefährlich; Kurt Bartsch: Tango Berlin. Alle Verlag Klaus Wagenbach. je 77 S., je 8 €.

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