Rivers of Babylon
»Jack in Love« von Philip Seymour Hoffman
Herzzerreißend schön: Wie Jack, das zum Menschen gewordene große O, einer riesigen Unterwasserblase gleich, leinwandgroß frontal auf den Zuschauer zu gleitet, das hat was. Etwas Menschliches, das tief anrührt. Im Schwimmbecken eines uralten, nostalgisch stimmenden New Yorker Stadtbades erlebt der um die 40-jährige Nichtschwimmer Jack, nach langem Üben – und wie er übt! –, dass er nun doch schwimmen kann (und ohne dass die Schwimmbrille beschlagen wäre!). Welch Glück. So lächeln Nilpferde im Wasser.
Philip Seymour Hoffman (»Capote«, »Tödliche Entscheidung«), hat schon immer Körperlichkeit eingesetzt – oder sagt man, uneitelschamlos durchaus auch seine nackten Hüften gezeigt –, und großartig gewirkt. Mittlerweile hat er an Leibesfülle fast ähnlich viel zu bieten wie beispielsweise jetzt Gérard Depardieu. Und auch an Darstellungskraft – wenn denn der Vergleich zwischen einem Hollywoodstar und einem Europäer erlaubt sei – nähert er sich der Depardieus an. Mit Spannung verfolgt man, wie viel Hoffman in seiner ersten Film-Regiearbeit zu bieten hat, der Leinwandversion von »Jack Goes Boating«, dem Off-Broadway-Stück von Robert Glaudini. Auch hier ist er gleichzeitig Hauptdarsteller.
Jack also. Dass der im Allgemeinen schon äußerst Kontaktscheue sich überhaupt darauf eingelassen hat, dem bislang verschmähten Element, dem Wasser, mehr als nur ein Zehenspitzen-Titschen zu widmen, das macht die Liebe. Ja, die Connie, das schüchterne, einsame Herz, erwähnte nach der ersten Begegnung mit ihm bei Freunden draußen an einer wintergrauen, windeisigen Straßenecke, dass man ja mal eine gemeinsame Bootsfahrt im Central Park unternehmen könne, dann im Sommer. Tja, das klang schon fast wie ein Treueschwur. Und Jack, der noch nie eine Frau hatte, wie er sie haben sollte – nach Meinung Clydes und dessen Frau Lucy –, präparierte sich mit Hilfe seines Kollegen im Limousinenservice und besten Freundes Clyde als Rettungsschwimmer in spe.
Der zu seiner eigenen Überraschung Ver- und Wiedergeliebte hat außerdem noch die Feuertaufe als Koch zu bestehen. Ein einziges Gericht zwar nur, aber für den im Kulinarischen völlig Unerfahrenen eine unvorstellbare Herausforderung. Mit gleicher Besessenheit und hoher Selbstverleugnung wie beim Schwimmenlernen trainiert er und nimmt sogar Stunden bei einem Profi. Das alles eben, um Connies Herzenswunsch zu erfüllen, wenigstens einmal in ihrem Leben bekocht zu werden.
Jack ist ziemlich schwerfällig im Kopf, zumindest muss man ihm lange auf den Mund schauen und Geduld haben, bis er ein Wort, gar einen ganzen Satz herausgebracht hat. Als ihm bei Connie vor lauter Aufregung, die in seiner ganzen fleischigen Massigkeit bis hin zu den Möchtegern-Dreadlocks seines schwächlichen Haars steckt, ganz und gar kein Wort mehr einfällt, setzt der Reggae-Fan ihr einfach seine Kopfhörer auf und spielt ihr sein Lieblingslied »Rivers of Babylon« vor. Ein Sehnsuchtssong, der wirkt. Wie ja Frauen ohnehin mit hilflosen Gesten durchaus was anfangen können. Obgleich er schönheitsresistent selbst noch im guten Anzug ist, hält Connie (Amy Ryan) ihn für sexy. Nun, ja, ein auf gut zwei Meter Bauchumfang dehnbarer Begriff. Zartfühlend und gelehrig in Sachen Umgang mit der Frau ist Jack auf jeden Fall.
Im Gegensatz dazu offenbar Clyde. Die Geschichte seines Kumpels (John Ortiz) und dessen Frau (Daphne Rubin-Vega) entwickelt sich geradezu spiegelverkehrt. In den langen Jahren deren kinderloser Ehe, mit Untreue und Eifersucht an der Oberfläche haben sich tiefliegende Konflikte zugespitzt. Ihr verzweifelter Zweikampf wird – nicht zuletzt durch das ebenfalls hervorragende Spiel der Darsteller – für jeden, der in einer Ehe lebt oder sie hinter sich hat, zu einem Déjà-vu.
Doch der Film insgesamt ist nicht gelungen. Schade, ich hätte's Hoffman gewünscht. Interessant zwar, wie der 89-Minüter montiert ist, muss doch die Hürde von der Bühne auf die Leinwand genommen werden. Aber anders als zum Beispiel »8 Frauen« von François Ozon oder Lars von Triers »Dogville« stellt er die Theaterherkunft nicht aus. Und so bleibt ein ambivalenter Eindruck: Ist es so gewollt – die Starrheit der Kamera, der Zähfluss hölzerner Dialoge, die Beschränkung auf wenige Schauplätze und die Dominanz sinnfreier Nahaufnahmen? Oder ist es einfach Unvermögen zu verbergen, dass er ein verfilmtes Stück ist, und sich in der Adaption frei zu bewegen? Dass seine Jungfräulichkeit Jack einen Tick eingebracht hat, mag ihm zugestanden sein. Aber es ist mühselig, der Schilderung seiner übertrieben dargestellten Lebensunbeholfenheit zu folgen, und das fortwährende Sich-Räuspern nervt irgendwann.
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