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NRW drohen 152 Atommülltransporte

Protest gegen Castor-Fahrten von Jülich wächst

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 3 Min.
2013 läuft die Genehmigung aus, Atommüll in Jülich zu lagern. Doch eine Umsetzung des Mülls ins gleichfalls unsichere Zwischenlager Ahaus wäre unsinnig, argumentiert ein Aktionsbündnis von Atomkraftgegnern.

152 Castor-Behälter mit hochradioaktivem Atommüll sollen von Jülich bei Aachen in das Brennelemente-Zwischenlager im münsterländischen Ahaus transportiert werden. Das würde zwischen 76 und 152 Castor-Transporte durch NRW bedeuten. Dagegen protestierten am gestrigen Sonntag in Jülich rund 600 Atomkraftgegner.

Das jüngst gegründete »Aktionsbündnis Stop Westcastor« plädiert dafür, den radioaktiven Müll bis auf Weiteres vor Ort in Jülich zu belassen. Das hieße allerdings: Der Müll bleibt vor der eigenen Haustüre, denn im Aktionsbündnis sind Menschen aus der Region organisiert – LINKE, Grüne, AKW-Gegner, Aktivisten aus Umweltverbänden. Ihr Argument: Sowohl das Zwischenlager am ehemaligen Jülicher Forschungsreaktor AVR als auch das Brennelementezwischenlager in Ahaus seien Leichtbauhallen, beide würden nicht den aktuellen Sicherheitsstandards entsprechen. Es ergebe also keinen Sinn, die Castoren kreuz und quer durch Nordrhein-Westfalen zu karren.

Verbleib wäre möglich

Doch genau das will das Forschungszentrum Jülich tun, dessen Vorläufer den Versuchsreaktor AVR in den Jahren 1967 bis 1988 betrieb. Im Jahr 2013 läuft die Genehmigung aus, den Atommüll vor Ort in Jülich zu lagern. 152 Castoren-Ladungen Atommüll müssten fort – ein bis zwei pro Transport.

Sowohl die Landtagsfraktionen von SPD, Grünen und Linkspartei als auch die rot-grüne Landesregierung sprechen sich dafür aus, den Atommüll in Jülich zu belassen. »Die Verlagerung der Castoren nach Ahaus würde (...) massive Polizeieinsätze erfordern, hohe Kosten für das Land auslösen und von den Menschen entlang der Transportstrecke zu Recht nicht akzeptiert werden«, argumentieren die drei Fraktionen in einem gemeinsamen Antrag. Laut einem Rechtsgutachten des Münsteraner Hochschullehrers Bernd Holznagel, erstellt im Auftrag des NRW-Wirtschaftsministeriums, ist ein Verbleib der Castoren vor Ort auch nach 2013 rechtlich möglich.

Doch nicht die Landesregierung, sondern das Bundesamt für Strahlenschutz entscheidet – und das untersteht der Bundesregierung. Inwieweit Düsseldorf den Konflikt mit Berlin wagen wird und welche Erfolgsaussicht das hätte, ist offen.

»Sollte es nicht gelingen, die Transporte politisch zu stoppen, dann werden sie praktisch ausgebremst«, prognostiziert Udo Buchholz, Vorstand des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU). Buchholz rechnet dann fest mit Blockadeaktionen .

Zwischen den Jahren 1967 und 1988 sollte das AKW AVR Jülich (das Kürzel steht für »Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor«) die Hochtemperaturreaktor-Technologie zur Serienreife bringen. Diese galt damals als zukunftsträchtig, weil angeblich besonders sicher, effizient und »wirtschaftlich«.

Kurz vor einem GAU

Doch 1978 entging Jülich laut einer 2008 veröffentlichten Studie nur knapp dem »größten anzunehmenden Unfall« (GAU), als 30 000 Liter Wasser unkontrolliert in den Reaktorkern drangen. Probleme mit dem Reaktor würden »bis heute vertuscht«, kritisiert der Vorsitzende der grünen Landtagsfraktion, Reiner Priggen. Die Technik sei »alles andere als sicher« und »nicht beherrschbar« gewesen, so der Politiker. Er bezieht sich dabei auf ein Papier des Forschungszentrums Jülich. Vieles deute darauf hin, »dass der Reaktor jahrelang außerhalb zulässiger Sicherheitsbestimmungen betrieben wurde – mit Wissen der Verantwortlichen«, so Priggen.

Gestern forderten die Demonstranten denn auch eine »umfassende Aufklärung früherer Störfälle«, eine vollständige Dekontaminierung des Reaktorgeländes und eine langfristige Kinderkrebsstudie für alle Atomstandorte in NRW. Sie plädieren zudem für eine »demokratische, ökologische und soziale Energieversorgung«.

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