Nachricht vom Kreiskranichkomitee

Anlässlich des Buches »Als die Sümpfe blühten« von Gottfried Unterdörfer

  • Armin Stolper
  • Lesedauer: 6 Min.

Zur Zeit gehen die Geschäfte schlecht … Für Ihre Bücher müsste mit hohem Aufwand geworben werden, selbst wenn es der Welt gut tun würde, und alle Menschen dazu verpflichtet werden könnten, Ihre Texte zu lesen.«

Diese trost-, aber nicht sehr hilfreichen Worte erhielt der Dichterförster Gottfried Unterdörfer gleich zu Beginn der neunziger Jahre von einem freundlichen Lektor eines sächsischen Verlages, der ihm gern zu neueren Veröffentlichungen verholfen hätte, wäre ihm das möglich gewesen. Neun Jahre nach Unterdörfers Tod 1992 – er war gerade siebzig geworden – konnte im Bautzener Lusatia Verlag mit Unterstützung einiger regionaler Verbände und Vereine tatsächlich ein neues Buch des Dichters erscheinen. Und am 17. März 2001 stand ich am Pult der übervollen herrlichen Barockkirche in Uhyst und begrüßte, zusammen mit Sohn Burghard, Frau Christa und Schauspielern des Deutsch–Sorbischen Volkstheaters, das Erscheinen des Buches »Ich möchte einen Kranich sehen«.

So hatten es die Herausgeber genannt, das außer einigen Erzählungen und Gedichten auch das nachgelassene Tagebuch des Dichters enthielt; Letzteres eine literarische Dokumentation, welche die Zeit vom 1. Januar bis 8. September 1992 beschreibt.

Die in der Uhyster Kirche Versammelten waren an diesem Tage, an dem auch im Gemeindehaus eine Unterdörfer-Ausstellung eröffnet wurde, traurig und fröhlich zugleich. Ihr Förster, Gemeindemitglied seit mehr als vier Jahrzehnten, Verfasser von knapp einem Dutzend nicht sehr umfangreicher Bücher, die alle im Union Verlag und der Evangelischen Verlagsanstalt erschienen waren, brachte sich seinen Lesern und Leserinnen mit alten Geschichten und Gedichten erneut in Erinnerung, bewies ihnen aber auch, wie er, ein unbestechlicher Seismograf, die Ereignisse der Zeit nach 1989 registriert hatte. Und wieso waren der Heimatverein von Uhyst und der Bautzener Verlag gerade auf mich als denjenigen Menschen gekommen, einen Linken, wie man wusste, der jetzt hier in der Kirche das Loblied auf den überzeugten Christen und Dichtermenschen Unterdörfer sang?

Das konnte ich den versammelten Leuten gern sagen: Weil mich mit diesem Dichter seit einigen Jahren eine Brieffreundschaft verband, die uns beiden viel bedeutete. Ich hatte ihm eines Tages von Berlin aus geschrieben, dass ich in seinen Büchern gern und häufig lese und ich ihn das einmal wissen lassen wollte. Unterdörfer, der wenig Beziehungen zu Leuten in der Hauptstadt haben mochte, schien überrascht und dankte mir mit dem Lesen meiner Schriften. Mehrmals war er auch nach Bautzen ins Theater gefahren und hatte dort meine Stücke, die in der Lausitz spielten, angesehen und liebevoll zustimmend, auch mit kritischen Bemerkungen versehen, beurteilt. Es war ein gegenseitiges Geben und Nehmen, und ich war nicht wenig glücklich, als er mir einen »verwandten Geist« bescheinigte.

Endlich hatten wir auch beschlossen, uns bei einer Lesung in dem von Uhyst nicht weit entfernten Hoyerswerda zu treffen. Aber der alte Gott, dem sich Unterdörfer zeitlebens verbunden fühlte und der das abgelebte Herz seines Knechtes kannte – Unterdörfer hatte Krieg und Gefangenschaft jahrelang erlebt und darüber in Erzählungen und Gedichten Zeugnis abgelegt – hatte dessen irdischen Dasein zu endigen beschlossen. So haben wir uns nie gesehen, aber ich fühle mich auch nach dem Tod dieses ehrlichen, unbestechlichen und menschenfreundlichen Mannes, eines Dichters der leisen und nie auftrumpfenden Art, weiter mit ihm verbunden.

Deshalb mochte es wieder kein Zufall sein, wenn sich Dr. Stübner, der Leiter des Bautzener Lusatia Verlages, jetzt an mich wandte und fragte, ob ich denn nicht ein paar Zeilen über das neue Buch schreiben könnte. Wiederbegegnung mit dem alten Freund Unterdörfer, kann ja nichts schaden, dachte ich, aber ob man da etwas grundsätzliches Neues erfahren würde? 28 ausgewählte Texte aus den heute nur noch im Antiquariat erhältlichen Bücher, na schön.

Aber die Skepsis war unbegründet, denn Karin Damaschke, die Auswählerin der Texte, hatte zugleich die Idee, sie unter den vier Jahreszeiten neu zu ordnen. Und so ist es einem beim Lesen, als ob einen der Dichter an die Hand nähme und uns im Rhythmus des Jahres auf Besonderheiten, Schönheiten, Bedrohtheiten von Natur und Menschenwelt verwiese – wobei einem auch das schon Bekannte wieder als neu und bedenkenswert erscheinen mag.

In der Welt des Krieges weckt der Dichter unser Erstaunen, wenn er über das seltene Zusammentreffen einer polnischen Katholikin, einer jüdischen Christin und eines deutschen Protestanten nachdenkt. Und vielleicht lässt man sich von Unterdörfer auch gern wieder einmal oder zum ersten Mal sagen, was ein Original unter den Menschen sei. Oder man lässt sich für den ausgefallenen Besuch des Freilandmuseums Kishi bei Petrosawodsk trösten, in dem man mit ihm die Stadt Leningrad und ihre Umgebung in einem neuen Licht erlebt. Oder hat man schon einmal so die Sümpfe blühen sehen, wie sie einen der Dichter in der zur Titelerzählung ernannten vorstellt? Und das Schicksal des Soldaten Joseph Maul – keiner wird sich davon, gerade in unseren erneut kriegerischen Tagen, unbeeindruckt zeigen. Und wer wird nicht schmunzeln, wenn er in dem Wort »Kreiskranichkomitee« einer Neuschöpfung des Dichters begegnet, von denen wir einige in unserer geliebten stolzen Republik hervorgebracht haben.

Es ist eine eigene und eigenartige Welt, in die uns der Dichter einlädt, sie mit ihm zu erkunden und, wenn möglich, deren Schönheiten als bewahrenswert zu empfinden. Wie bei einem seiner großen Vorbilder, Albert Schweitzer, ist es auch bei ihm das Du, das zum Mittelpunkt seines Lebens als Förster, Dichter und Mensch unter Menschen wurde. Ich behaupte nichts Unzutreffendes, wenn ich ihn als einen der nicht lauten und auftrumpfenden Dichter in der DDR schätzte, der sich auch von deren zunehmenden Schwierigkeiten nicht ins Bockshorn jagen ließ, sondern immer wieder an die Mehrung der besseren Möglichkeiten glaubte und auf seine Art daran arbeitete. Hierin waren wir uns ähnlich, aber wenn ich an seiner Stelle in einer seiner Geschichten gesagt hätte: Es stank nach Scheißhaus, dann hat Unterdörfer eben geschrieben, dass es nach Abort roch.

Unvergessen seine Liebeserklärungen an die Landschaft seines Lebens sowie deren Leute, und ich wundere mich keineswegs, dass ich ihn liebend gern in »Meine Lausitzer Kommune« aufgenommen habe. Unter den teils längeren, teils kürzeren Texten befindet sich auch eine bislang unveröffentlichte Erzählung. Wer sich dafür interessiert, wieviel eine Kohlmeise wiegt, wie hoch ihr täglicher Nahrungsbedarf sei und wie viel Raupen ein Kohlmeisenpaar zur Aufzucht seiner Brut benötigt, der reihe sich unter die Aquarianer, Insektenkundler, Hebammen, Teilnehmer von Pfarrkonventen, Biologielehrer, Mitarbeiter von Finanzämtern, Mitglieder des Blindenverbandes und lasse sich durch eine jener Vorlesungen im Grünen belehren, wie sie für diesen Dichterförster typisch waren.

Übrigens: Das kleine, gut gestaltete, mit Zeichnungen der Berlinerin Künstlerin Jutta Mirtschin ausgestattete Buch lässt zugleich den Mann neidisch werden, der den hier Erinnerten mag, bis zum heutigen Tag, und der ihm diese Neuerscheinung von Herzen gönnt.

Gottfried Unterdörfer: »Als die Sümpfe blühten«, Illustr. von Jutta Mirtschin. Lusatia Verlag Bautzen. 144 S., geb., 13,90 Euro

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