Wege übers Land

TV-Regisseur Martin Eckermann wäre heute 80

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Kulturgeschichte des Fernseh-Bildes darf man inzwischen ein tragisches Schicksal nennen. Die Raserei des Betriebes hat diesem Bild zugesetzt. Hat es in eine heraushängende Zunge verwandelt. Das Fernsehen avancierte zum Zentralorgan der Mediengesellschaft, und das im Grunde unangreifbare Selbstbewusstsein dieser Position ist auf seltsame Weise gekoppelt mit der Furcht jedes Senders, das Auditorium daheim könne auf ständiger Fluchtbewegung hin zu anderen Kanälen sein. Also ersinnen die Anstalten unaufhaltsam Reizüberschüsse und Bildblitze. Immer engmaschigere Blickfangnetze – das ist die Masche – werden über die Wahrnehmungskräfte des Zuschauers geworfen, er soll gefangen zappeln statt zappen. Schon das Wort vom Fernsehroman stünde heute in Index-Gefahr, füllte sich dieses Format nicht schleunigst mit mondänstem und kitschigstem Ambiente.

Als Martin Eckermann (Foto: Staatsoper/Rittershaus) im DDR-Fernsehen vor über vierzig Jahren Helmut Sakowskis Fernsehroman »Wege übers Land« inszenierte, war das eine künstlerische Spitzenleistung, und dennoch fügte sich dieses mehrteilige, außerordentliche Unternehmen in eine televisionäre Spielplanpolitik ein, die sehr selbstverständlich und gezielt und großzügig große Stoffe zu großen Bildschirmerlebnissen formte. Kompromisslos anspruchsvoll, was das ästhetische Handwerk betraf. Die Produktionszeit war nicht nur Frist, die Dreharbeiten kannten kaum Druck, und es obwaltete ein schauspielerisches Niveau, das die besten Theaterspieler mit den Akteuren eines starken fernseheigenen Ensemble vereinte.

Nicht etwa, dass man diesem Fernsehen, holt man es heute aus den Archiven, nicht den Geist und die Mode der Zeit ansähe – natürlich sieht man den, man sieht den Geist und mitunter auch den propagandistischen Zuschnitt, aber: Es gibt, zum Beispiel in »Wege übers Land«, eine sozial-psychologische Wahrhaftigkeit, eine fesselnde erzählerische Energie und eine filigran geduldige Bildkultur, die zum Bestand deutscher Fernsehgeschichte gehört.

Dieter Meichsner, lange Jahre Fernsehspielchef des Norddeutschen Rundfunks, selber geistiger Betreiber des westdeutschen Fernsehromans, sagte 1992 im ND-Interview über »Wege übers Land«: »Was Sakowski, Eckermann, die erotisch spröde Schauspielerin Karusseit, der charmant klumpige Manfred Krug und all die anderen Wunderbaren da an deutscher Geschichte erzählen, indem sie es über weiteste Strecken als Menschen-Geschichte erzählen, das ist toll – das ist auch toll, weil es SED-Politik betreibt, ohne dass der Film ein Parteiabzeichen trägt.« Das Lob des Klassenfeinds. Manchmal unerwartet viel wert! Und so wahr.

Martin Eckermann war Schauspieler in ostdeutscher Provinz, von Bernburg bis Zwickau, so könnte man sagen, ab 1960 prägte er den großen, mehrteiligen DDR-Fernsehfilm mit (»Verflucht und geliebt«, »Die Verschworenen«). Ganz wesentlich betrieb er die Bewahrung einer Schauspielkunst, die im Fernsehen nicht Verschleiß erlitt und die somit unter Schauspielern dazu beitrug, das Medium nicht etwa bloß als zusätzliche Verdienstquelle und Popularitätsschub zu sehen, sondern als Fortsetzung der künstlerisch anspruchsvollen Theater-Arbeit mit anderen Mitteln.

Ursula Karusseit erzählt heute mit souveräner Melancholie, dass sie nach »Wege übers Land« auch als Darstellerin in Sakowskis Mehrteiler »Verflucht und geliebt« vorgesehen war. Am Ende spielte Renate Krößner in Eckermanns Film, dem Autor war – wie er Karusseit mitteilte – die Figur schreibend leider »jünger und jünger« geraten. Karusseit, zu direkt, um Verklausulierungen zu ertragen, drängte auf die Wahrheit: Sie hatte in »Wege übers Land« mit Krug und Domröse, in »Daniel Druskat« zudem mit Thate gespielt – die waren inzwischen im Westen, und sähe man nun die Karusseit in einem neuen Film, würde bei Zuschauern doch sofort die Frage nach den anderen auftauchen … Das war sie, die verhängnisvolle Vertracktheit einer krampfig-parteilichen Kulturpolitik, die leider nicht rechtzeitig begriff und lehrreich darob erschrak, wie lächerlich sie war .

Martin Eckermann wurde 1930 in Wittenberg geboren, er starb 2005 in Berlin. Heute wäre er achtzig Jahre alt geworden.

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