EU lässt Ukraine weiter warten

Kiews Hoffnung auf Assoziierungsabkommen und Visafreiheit enttäuscht

  • Manfred Schünemann
  • Lesedauer: 3 Min.
In dieser Woche fand der 14. EU-Ukraine-Gipfel statt. Präsident Janukowitsch war mit der Hoffnung nach Brüssel gekommen, einen Durchbruch in den langjährigen Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen zu erreichen, der Visafreiheit deutlich näher zu kommen und den Weg für eine spätere EU-Mitgliedschaft zu ebnen. Doch diese Erwartungen wurden enttäuscht.
Präsident Janukowitsch (l.) und EU-Ratspräsident Herman van Rompuy
Präsident Janukowitsch (l.) und EU-Ratspräsident Herman van Rompuy

Die Ergebnisse des Treffens verdeutlichen, dass die EU an ihrem zögernden Kurs gegenüber der Ukraine festhält und auf absehbare Zeit nicht zu verbindlichen Festlegungen bereit ist. Stattdessen wurden ein von Brüssel vorbereiteter »Aktionsplan zur Vorbereitung auf die Abschaffung der Visapflicht« unterzeichnet und die Weiterführung der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen vereinbart. Der »Aktionsplan« enthält einen umfangreichen Forderungskatalog der EU, dessen Erfüllung in regelmäßigen Abständen überprüft werden soll. Dabei geht es sowohl um Fragen der technischen Grenzsicherung als auch um Menschenrechte, Meinungsfreiheit und Demokratie in der Ukraine.

Das verdeutlicht die abwartende Haltung und das Misstrauen der EU-Kommission gegenüber der politischen Entwicklung seit dem Amtsantritt von Präsident Viktor Janukowitsch, so wie sie zuvor bereits in einer Reihe von Resolutionen des Europäischen Parlaments zum Ausdruck kamen. Die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) unterstützt immer noch den politischen Kurs der Wahlverliererin Julia Timoschenko, deren Partei Mitglied des konservativen Parteienbündnisses ist. Erst kürzlich initiierte die EVP-Fraktion eine Resolution, in der die Zweifel der Timoschenko-Partei an den Ergebnissen der jüngsten Kommunalwahlen übernommen wurden und vor der Gefahr der Errichtung eines »autokratischen Regimes« in Kiew gewarnt wird.

Dabei haben internationale Wahlbeobachter eingeschätzt, dass der Urnengang »ohne nennenswerte Beeinträchtigungen verlaufen« sei und Unkorrektheiten »keinen Systemcharakter« gehabt hätten. Timoschenko mit ihrer Partei »Batkivtschina« (Vaterland) musste in allen Landesteilen herbe Verluste hinnehmen und verlor damit den ersten Stimmungstest nach der Präsidentenwahl deutlich. Janukowitschs Partei der Regionen dagegen verzeichnete vor allem in den zentralen und westlichen Gebieten einen Stimmenzuwachs und ging im landesweiten Durchschnitt mit etwa 30 Prozent der Stimmen erneut als stärkste politische Kraft aus den Kommunalwahlen hervor. Bedeutsam ist aber auch, dass rechtspopulistische und nationalistische Parteien und Wählergemeinschaften vor allem in den westukrainischen Gebieten einen deutlichen Stimmenzuwachs erzielten und zudem in den östlichen und zentralen Landesteilen Erfolge verzeichneten.

Das spiegelt nicht zuletzt die wieder wachsende Unzufriedenheit breiter Bevölkerungsschichten mit ihrer sozialen Lage wider, die sich mit der Umsetzung der harten Sparauflagen von IWF und EU noch weiter zuspitzen wird. Bereits in den vergangenen Tagen gab es in Kiew erneut Massenproteste gegen die Steuerpolitik der Regierung, und weitere sind zu erwarten, wenn die Pläne zur Erhöhung des Renteneintrittsalters umgesetzt und die lange vorbereiteten Tariferhöhungen für kommunale Dienstleistungen (Wohnungsmieten, Gas- und Strompreise) in Kraft gesetzt werden.

Die mit der EU vereinbarte Fortsetzung der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen wird durch die ohnehin schon starken sozialen und wirtschaftlichen Belastungen der Ukraine nicht einfacher. Gerade die noch offenen Verhandlungsfelder im Agrarbereich bergen große Probleme für die kaum konkurrenzfähige ukrainische Landwirtschaft in sich. Hinzu kommt die Sorge bei Unternehmen anderer Branchen wie Maschinenbau und Metallurgie, dass ein Freihandelsabkommen mit der EU den Handel und die Zusammenarbeit auf den traditionellen Absatzmärkten in Russland und im GUS-Bereich beeinträchtigen könnten.

Klar dürfte auf jeden Fall sein, dass ein solcher Vertrag eine Einbindung der Ukraine in die Euroasiatische Wirtschaftsgemeinschaft (Russland, Kasachstan, Belarus) erschweren, wenn nicht verhindern würde. Die jetzt anstehenden Gaspreis- und Wirtschaftsverhandlungen mit Russland – heute reist Janukowitsch zu Gesprächen nach Moskau – dürften dadurch nicht einfacher werden. Andererseits könnte die EU-Zurückhaltung durchaus dazu führen, dass sich die Ukraine noch stärker in Richtung Russland und GUS-Raum öffnet.

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