Anschub für Zigaretten-Schwarzhandel

Dem Staat bringt eine Erhöhung der Tabaksteuer nur kurzfristig mehr Geld

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Vorhaben der Bundesregierung, die Tabaksteuer statt der Ökosteuer für energieintensive Industrie zu erhöhen, könnte zu einer gigantischen Arbeitsbeschaffungsmaßnahme des illegalen Zigarettenhandels führen.

Jede fünfte in Deutschland gerauchte Zigarette wird nicht im Inland versteuert. Das heißt, die Ware wurde im kleinen Grenzverkehr aus dem Ausland eingeführt oder aber sie wurde schwarz gekauft. Die regionalen Unterschiede sind beträchtlich. Während in Hamburg nur zehn Prozent unversteuerte Zigaretten geraucht werden, sind es im Brandenburger Landkreis Oder-Spree als bundesweitem Spitzenreiter 62 Prozent. Die Zahlen wurden von dem Hamburger Institut Ipsos durch eine Sammlung von leeren Zigarettenschachteln aus dem Müll erhoben. Der Auftraggeber, der Deutsche Zigarettenverband, ist nicht unparteiisch. Aber inzwischen berufen sich auch Zoll und Statistisches Bundesamt auf diese Angaben.

Jin Ling, die Zigarettenmarke mit dem Ziegenbock, die in Kaliningrad oder China unter hygienisch fragwürdigen Bedingungen produziert wird, deutlich mehr Schadstoffe enthält als in Deutschland versteuerte Zigaretten und offiziell gar nicht verkauft werden darf, steht auf Platz 9 der Liste der meistverkauften Zigaretten in Deutschland. Während Import und Großhandel der Marke das Geschäftsfeld von Polen, Russen, Deutschen, Vietnamesen, Türken und Arabern ist, sind im Straßenverkauf fast nur Vietnamesen tätig.

Soziale Rauchernetzwerke

Die sind meist illegal nach Deutschland gereist und zahlen mit dem Gewinn ihre Schlepperschulden ab. Reich werden sie dabei nicht. Die Straßenhändler, die aus der Armutsregion Zentralvietnam stammen, gönnen sich selbst oft nichts anderes als Reis, einmal pro Woche vielleicht Fleisch und Gemüse. Im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf spricht der Migrationsrat in einem Papier von 2005 von Skorbutfällen unter Zigarettenhändlern. Das ist eine Mangelerkrankung, die in Hungergebieten Afrikas grassiert.

Jin Ling kostet etwa die Hälfte der im offiziellen Handel erworbenen Zigaretten, ein Verkaufsargument, das jede Werbung überflüssig macht. Nicht nur in Berlin und entlang der deutschen Ostgrenze ist die Marke zu haben. Inzwischen sorgen soziale Netzwerke im Internet dafür, dass sie bundesweit geraucht werden kann. Lea L., eine Mannheimer Raucherin, bekommt jeden zweiten Monat Zigaretten von ihrem Facebook-Freund aus der Sächsischen Schweiz. Der kauft die unversteuerte Ware im nahen Tschechien auf einem Vietnamesenmarkt und schickt ihr regelmäßig Ostpakete.

Die letzte Tabaksteuererhöhung gab es 2002 und 2003. Damals wurde die Steuer pro Zigarette um jeweils einen Cent erhöht, um damit das Anti-Terror-Paket der Bundesregierung zu finanzieren. Kurzfristig ging die Rechnung auf: 2002 nahm der Fiskus 14 Prozent und 2003 noch einmal zwei Prozent mehr Tabaksteuer ein als im jeweiligen Vorjahr. Doch seitdem ist das Aufkommen an Tabaksteuer rückläufig. Im Vorjahr lagen die Einnahmen bei 13,4 Milliarden Euro, 400 Millionen weniger als 2002. Stattdessen stieg der Schwarzmarktumsatz.

Zoll im Hintertreffen

Der illegale Zigarettenhandel hat zwar noch nicht wieder das Ausmaß erreicht wie in den 1990er Jahren, als sich vietnamesische Banden in Berlin blutige Kämpfe um die Vorherrschaft lieferten. Aber die beschlagnahmte Ware nimmt nach einem Einbruch bis zum Jahr 2000 längst wieder zu. Dabei schätzt der Zoll, dass er nur etwa ein Prozent der verkauften Schmuggelzigaretten sicherstellt.

Zum Rückgang des Tabaksteueraufkommens trug auch ein Rückgang der Raucherzahl bei. Im Vorjahr waren 25,7 Prozent der Bevölkerung Raucher, 2003 noch 27,4 Prozent. Vor allem Männer brachen mit ihrer Sucht, die Zahl der Raucherinnen blieb konstant.

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