»Ein Inspektor kommt« ins Renaissance-Theater
Eigentümliche Mischung aus sozialkritischem Familiendrama und Musiktheaterstück
Da wollte man wohl originell sein: Als eigentümliche Mischung aus sozialkritischem Familiendrama und Musiktheaterstück hat das Renaissance-Theater das britische Schauspiel »Ein Inspektor kommt« auf die Bühne gebracht. Doch trotz der hochkarätigen Besetzung mit Judy Winter und Vadim Glowna geht das Konzept nicht recht auf – Darstellung und Dialoge wirken aufgesetzt, und die durchaus gelungenen musikalischen Einlagen wirken wie willkürliche Unterbrechungen.
Dabei gibt der Schauspieler und Kabarettist Guntbert Warns eine gute Figur ab als respektlos-rockiger Inspektor, der mit Überrumpelungstaktik und harten Fragen das Selbstbild einer angesehenen Unternehmerfamilie zum Einsturz bringt und zwischendurch in Songs von u.a. Georg Danzer, Randy Newman und Georg Kreisler moralisches Fazit zieht. Doch etwas stört an der Abfolge von Schauspiel und Songs, beides existiert eher neben- als miteinander. Schade, denn die von E-Gitarre und am Klavier von Harry Ermer begleiteten Lieder, die Warns mit lässiger Würde singt, sind überaus hörenswert.
Gesellschaftskritisch, wenn auch naiv und schablonenhaft erscheint heute John Boynton Priestleys Erfolgsdrama aus dem Jahr 1944/45. Im Mittelpunkt steht die Fabrikantenfamilie Birling, die gerade die Verlobung von Tochter Sonja mit dem reichen Gerhard Kraft feiert: Geld zu Geld. Mitten in die künstliche Fröhlichkeit platzt der Inspektor in Udo-Lindenberg-Outfit – schwarze Lederhose, schwarzes Sakko, Hut –, und beginnt umgehend, Ermittlungen zum Suizid einer jungen Frau anzustellen. Die ehemalige Angestellte der Birling-Fabrik hat sich in größter sozialer Not umgebracht, und jeder einzelne der Anwesenden trägt Mitschuld an ihrem Unglück. Welche, das entlockt der schnauzbärtige Inspektor, der ohnehin schon alles zu wissen scheint, einem Familienmitglied nach dem anderen. Doch der Geständnismarathon teilt die alles andere als noble Familie in zwei Lager: Während Tochter Sonja und ihren ewig angetrunkenen Bruder Erich tiefe Scham packt, negieren Verlobter Gerhard und die Eltern Birling jegliche Verantwortung für das Unglück der jungen Frau. Familienoberhaupt Arthur Birling (»Ich war früher Oberbürgermeister und habe immer noch sehr gute Kontakte«) hat allenfalls Angst vor einem Skandal, der womöglich seine anstehende Ehrung mit dem Bundesverdienstkreuz gefährden könnte.
Trotz einiger überraschender Wendungen erscheint das Stück aus heutiger Sicht vorhersehbar und, was die Forderung nach sozialer Verantwortung betrifft, sehr dick aufgetragen. Auch ist einiges unlogisch und altbacken. Der Versuch von Regisseur Antoine Uitdehaag, das Ganze mit rockigen Musikeinlagen und einer artifiziell-kühlen Atmosphäre zu entstauben, gelingt nur teilweise. Sehenswert ist das Bühnenbild von Tom Schenk, der die kleine Familiengesellschaft zwischen zwei glänzenden schwarzen Platten agieren lässt, von denen die eine als Podest dient, die obere erst waagrecht über den Köpfen der Darsteller schwebt, später in die Senkrechte kippt und als Spiegel und Monitor dient. Dass während einer Gesangseinlage nackte Schaufensterpuppen hereingeschleppt und aufgebaut werden, ist als Symbol für die Austauschbarkeit, die das tote Mädchen für das emotional unberührte Ehepaar Birling hat, dann aber doch plump; erst recht, als eine der Puppen im zweiten Teil auf dem Tisch herumliegt, um den die Birlings Kriegsrat halten. Ebenso problematisch sind die Floskeln, die man sich um die Ohren schlägt. Vor allem Nadine Schori muss als hysterische Unternehmertochter Sonja unentwegt schrille Klagen ausstoßen (»Wie Du redest, macht mir Angst«), um ihr mit Ende 20 plötzlich entdecktes soziales Gewissen zu dokumentieren, und selbst Vadim Glowna und Judy Winter als nur auf den eigenen Vorteil bedachtes Materialistenpaar können den Gesamteindruck des Stereotypen, Klischeehaften nicht verwischen.
Bis 16. Januar; Renaissance-Theater, Knesebeck-/Ecke Hardenbergstr., Charlottenburg, Karten unter 312 42 02 oder im Netz unter: www.renaissance-theater.de
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