Debakel Sicherungsverwahrung

Berliner Linksfraktion organisierte prominent besetzte Podiumsdiskussion

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Sicherungsverwahrung (SV) ist in Mode. Von 1990 bis 2006 hat sich die Anzahl der gerichtlichen Anordnung zum Wegsperren von Straftätern über die eigentliche Gefängnisstrafe hinaus verdreifacht. Im Dezember letzten Jahres erklärte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte diese Praxis jedoch für nicht vereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Insgesamt 88 Sicherheitsverwahrte, darunter zehn in Berlin, fallen unter dieses Urteil. Die Politik ist gezwungen, sich zu überlegen, wie mit diesen Menschen und der Sicherungsverwahrung insgesamt zukünftig umzugehen ist. Anlass genug für eine Podiumsdiskussion im Berliner Abgeordnetenhaus, zu der die dortige Linkspartei-Fraktion eingeladen hatte. Auf dem Podium saßen die Berliner Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD), Brandenburgs Justizminister Volkmar Schöneburg (LINKE), Ralph-Günter Adam, Leiter der JVA Tegel sowie Sebastian Scharmer vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein.

In Berlin werde bereits seit längerem darüber nachgedacht, wie die Sicherungsverwahrung umgestaltet werden könne. Immerhin formal sei den Regelungen durch eine Trennung der Sicherheitsverwahrten von den übrigen Gefangenen inzwischen Folge geleistet, sagte Gisela von der Aue. Seit Mai gibt es auch eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Berlin und Brandenburg, um über Reformen zu beraten. Damit sei man allerdings recht allein im Kreise der deutschen Landesjustizminister, sagte Volkmar Schöneburg: »Die Kollegen denken eher darüber nach, wie man die Konsequenzen des Urteils umschiffen kann.«

Rechtsanwalt Sebastian Scharmer bestätigte, dass es in der Politik kaum Diskussion über ein grundsätzliches Überdenken der Sicherungsverwahrung gebe. Das Grundproblem sei »der Paradigmenwechsel von der sozialintegrativen Haltung des Wohlfahrts- und Rechtsstaats zum kriminalprognostischen Strafrecht.« Dabei hätten Studien ergeben, dass wohl zehn Prozent der SVler tatsächlich eine Bedrohung seien.

Ralph-Günter Adam, der schon lange in der JVA Tegel tätig ist, kann sich auch nicht an einen Rückfall eines ehemaligen sicherheitsverwahrten Insassen erinnern. Vor großen Problemen stehe man laut Adam momentan bei den Entlassungsvorbereitungen. Menschen, die zum Teil seit Jahrzehnten ohne Perspektive auf Freiheit im Gefängnis gesessen hätten, seien schwer für eine Kooperation zu motivieren. Auch Unterbringungsmöglichkeiten in betreuten Einrichtungen zu finden, sei eine Herausforderung. Aus Angst vor dem drohenden Medienrummel winkten die meisten sofort ab.

Vor allem die Therapiesituation in der Haft müsse dringend verbessert werden, forderte Scharmer: »Von den 37 SVlern, die ich betreue, war eine kurzzeitig in Sozialtherapie. Dabei haben alle Anträge gestellt.« Die knappen Therapieplätze werden in den Gefängnissen vorrangig jenen zugeteilt, die eine realistische Chance auf Entlassung haben.

In Berlin sehen die Zahlen besser aus, aber natürlich muss auch hier etwas getan werden. »Wir müssen möglichst frühzeitig mit der Behandlung anfangen«, sagte auch Berlins Justizsenatorin Gisela von der Aue. Als »absolut nicht einschätzbar« bezeichnete sie das von der Bundesregierung vorgelegte Gesetz zur Unterbringung psychisch erkrankter Straftäter, das einen Ersatz für die durch das EGMR bemängelten bisherigen Regelungen darstellen soll.

»Nach allem was ich bisher weiß, ist es verfassungs- und menschenrechtlich nicht haltbar«, ergänzte Brandenburgs Justizminister Schöneburg. »Wir müssen dafür sorgen, dass die künftigen Hürden für die Sicherheitsverwahrung sehr hoch gehängt werden.« Denn mit einer baldigen Abschaffung sei nicht zu rechnen.

»Wer Behandlung wünscht, dem darf sie nicht verwehrt werden. Multidisziplinäre Expertenteams, die nicht nur innerhalb der JVA tätig sind, sollten mögliche Hafterleichterungen für Gefangene prüfen«, sagte Scharmer.

»Das eigentliche Debakel der aktuellen Kriminalitätspolitik zeigt die Debatte über SV für Jugendliche«, empört sich Volkmar Schöneburg, »dass man darüber überhaupt nachdenkt.«

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