Rot-Grün-Schwarz übt sich als Sparkommissar

Vorgeschmack auf harte Kürzungen 2011

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 3 Min.

Gegen Ende der Veranstaltung ist das Niveau sogar einem eher wohlgesinnten Grünen-Mitglied zu platt. »Ich höre mir seit eineinhalb Stunden irgendwelche Zahlen an, ohne dass es konkret wird«, nörgelt der Zuhörer, der der Einladung zum »Kassensturz« der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus am Mittwochabend gefolgt ist. Titel des »prominent« besetzten Podiums: »Spree Athen im Schuldensumpf – Berlin vor einer neuen Sparrunde?«

Der bekannteste angekündigte Teilnehmer fehlt indes. Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) war »kurzfristig« aufgefallen, dass der Titel »Kassensturz« eher nach Wahlkampf denn nach Sachdebatte klingt. Er sagte deshalb ab. So musste die grüne Diskussion über die defizitären Landesfinanzen ohne den obersten Finanzverwalter auskommen. Dafür durften sich umso mehr die »Sparkommissare« von morgen üben.

Dass Berlin auf keine Einnahmesteigerungen hoffen kann, sondern künftig seine Ausgaben drastisch senken muss, darüber waren sich alle Podiumsteilnehmer von Grünen über CDU bis zur SPD einig. Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop verglich die Finanzsituation Berlins gar mit »Griechenland« oder »ähnlich ernst wie 2001«.

Solche Vergleiche sollen wohl auf künftige harte Kürzungen einstimmen. Von daher stellte sich die Frage im Titel der Veranstaltung »Berlin vor einer neuen Sparrunde« nicht wirklich. Der Hintergrund ist: Berlin sitzt auf einer Schuldenlast von weit mehr als 60 Milliarden Euro – Tendenz steigend. Jedes Jahr muss das Land allein mehr als 2 Milliarden Euro für den Schuldendienst aufbringen. Mit der Reduzierung der Bundeshilfen aus dem Solidarpakt, die in den nächsten Jahren kontinuierlich runtergefahren werden, sowie der sogenannten Schuldenbremse werden sich die finanziellen Spielräume dazu weiter verengen.

Was das für das konkrete Finanzszenario, das auf dem Grünen-Podium debattiert wird, heißt, erläutert der Grünen-Finanzexperte Jochen Esser: Um bis 2020 keine neuen Schulden mehr machen zu müssen, muss Berlin – um die Deckungslücke von 2,7 Milliarden Euro des Haushalts 2010 zu stopfen – jährlich rund 270 Millionen Euro weniger ausgeben. Immer vorausgesetzt, dass die Konjunktur stabil bleibt und nicht wie 2009 einbricht.

Sofort greifbare Einsparpotenziale wie noch 2002 beim Stopp der Wohnungsbauförderung sieht indes niemand. »Die Zeiten der Macheten sind vorbei, wo man hier und da ein paar Millionen kürzt«, sagt Ralf Wieland (SPD). Der Vorsitzende des Hauptausschusses sieht vielmehr in der Zukunft eine Menge »Kleinarbeit« auf den jeweiligen Senat zukommen. Damit sind Fragen gemeint wie: »Können wir uns nach 2011 wirklich 100 000 Beschäftigte im Landesdienst leisten?« oder »Kann man bei Kultur noch was wegnehmen?« Auch die ein oder andere Investition dürfte wegfallen. »Ob die Kunsthalle in der nächsten Wahlperiode gebaut wird, werden wir sehen«, orakelt Wieland.

Auch Grünen-Haushaltsexperte Esser wird nach der harschen Kritik aus dem Publikum konkret. Eine Kunsthalle oder eine Zusammenlegung der Landesbibliothek könne er sich aufgrund der ICC-Sanierung und der Krankenhausfusion, die dreistellige Millionenbeträge kosten werden, nicht vorstellen. Die Grünen glauben dagegen an Effizienz: »Bei 2,5 Milliarden IT- und Personalverwaltungskosten hole ich mindestens 10 Prozent raus«, meint Esser.

Welche Kürzungspläne bereits bei der Berliner CDU gereift sind, offenbart deren Parlamentarischer Geschäftsführer Florian Graf: »4,7 Milliarden Kosten bei den Sozialausgaben tragen nicht zur wirtschaftlichen Entwicklung in der Stadt bei«, erklärt er.

So viel Sozialkahlschlagsphantasie auf einmal bringt an diesem Abend aber selbst die aufs Konkrete bedachte grüne Parteiseele zum murren.

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