Für einen Sommer Don Juan
Matthias Horn spielt den Verführer im Amphitheater
Jemand kam von der Charité rüber. Er wollte wissen, wen er bis dorthin abends rufen hört »Gott glaubt an mich!« Vorgefunden hat er im Monbijoupark den gottlosen Don Juan unter freiem Himmel im Amphitheater. Der tritt zu Beginn des Stücks auf einen Balkon im Bühnenbild und wirft einen derart arroganten Blick übers Halbrund, dass das Publikum stöhnt.
Wir reden nach dem bereits 47. Zuschaueraufstöhnen miteinander. Bis dahin sei kein Theaterabend wegen schlechten Wetters ausgefallen, freut sich Matthias Horn. Er hatte sich schnell entschließen müssen, die Rolle des Don Juan zu übernehmen. Während eines Urlaubs im Frühjahr rief ihn Regisseur Jan Zimmermann an, ob er dazu Lust und Zeit hätte. Danach begannen die Proben. Horns spontane Frage war: »Mit Perücke?« Das Leben hat dem 1962 geborenen Künstler das Kopfhaar schon abspenstig gemacht. Er konnte sich schlecht als kahler Frauenheld vorstellen. Auch plagte ihn die Frage: Würde seine Stimme bei wochenlangem Spiel unter freiem Himmel durchhalten? Selbstzweifel kommen ihm vor jeder neuen Herausforderung. Er steht nicht über den Dingen. Das macht ihn sympathisch.
Hexenkessel-Regisseur Zimmermann hätte mit seiner diesjährigen Molière-Inszenierung die Sommerstimmung nicht besser treffen können. Horn ist sein Glücksgriff. Er hatte erst jemand anderen dafür im Sinn. Das war nicht der Richtige. Nun, das Problem plagt ihn nicht mehr. Horn macht das glänzend. Er spielt den Respektlosen voller Lebensfreude. Wen es wundert, warum diese Lebensäußerung im Theater einen immer höheren Stellenwert erlangt und von den »Konsumenten« geradezu aufgesogen wird, der braucht nur eine alltägliche Nachrichtensendung einzuschalten.
Privat sieht der humorvolle Don-Juan-Darsteller seine Männerrolle anders. Er lebt seit Jahren in fester Beziehung. Die sei so von Arbeit und Terminen geprägt, dass er und seine Partnerin einander nicht überdrüssig werden können, erklärt er. Sein 22-jähriger Sohn dagegen hätte sich beim Ansehen des Stücks als Mann ertappt gefühlt.
Im Hexenkessel-Ensemble zu arbeiten sei gut, sagt der Schauspieler. Wenn der Begriff auch abgelaufen scheine – das sei ein Kollektiv. Man kennt ihn ja bisher nicht von der Komödie. Nach dem Schauspiel-Studium an der »Ernst-Busch«-Hochschule und Engagements in Halle, Eisleben, Greifswald und Berlin war er 1990 Mitbegründer des freien Orphtheaters in Mitte. Das wurde 18 Jahre alt, konnte sich dann finanziell nicht mehr halten. Die Bühne – heute »Theater im Schokohof«, für die er auf eine Senats-Spielstättenförderung fürs nächste Jahr hofft, ist heute noch seine künstlerische Heimat. Zusätzlich engagiert er sich in dem aktuell von Räumung bedrohten Wohn- und Kulturprojekt »Schokoladen« in der Ackerstraße.
Nach der Hexenkessel-Saison geht Matthias Horn mit Jo Fabians »Independent Swan«-Tanzprojekt noch mal mit auf Tour. Im Dezember soll dann in der Ackerstraße ein Stück Premiere haben, in dem er unter der Regie von Johann Camut allein Täter und Opfer spielt. Es geht um das Schicksal von Schweizer Verdingkindern. Sie ausnutzend haben sich dortige Bauern fast 100 Jahre lang schuldig gemacht. Mit Schauspieler und Regisseur Peter Ibrik plant Horn außerdem, »Der Rebell, der keiner war« von Sean O'Casey aufzuführen.
Doch vorerst braucht er alle Kraft fürs Amphitheater. Er kann schließlich nicht abgeschlafft den großen Verführer geben. Schnelle italienische Küche sei gut für die Form. Viele Aminosäuren. Klingt lecker. Wie seine Kollegen im Hexenkessel erwarten ihn fünf mal die Woche zwei Vorstellungen pro Abend. Zwischen »Don Juan« und »Julia und Romeo«, wo er Julias Vater spielt, muss er in 20 Minuten um Jahrzehnte altern. »Das krieg ich hin«, versichert er. Problematischer sei aufkommende Müdigkeit, wenn der »Alte« während des Stücks eine Stunde nicht auf der Bühne gefragt ist. Da hilft nur Bewegung. Also gibt er den Guten, geht Kaffee, Tee und dergleichen für die Kollegen besorgen und ist wieder der alte »Alte«, wenn er dran ist.
Jede Vorstellung hat ihren Spaß, ihren Reiz, doch auch ihre Tücken. Die 47. von »Don Juan« war von Versprechern gezeichnet. Horn sagt, er hätte ausgerufen »An welchen Gerd glaubt Gott?« Worauf dann zu klären war, was es mit Gerd auf sich hat.
»Don Juan« bis 11.9., Di.-Sa. 19.30 Uhr, Amphitheater, Monbijoustr., Mitte, Karten-Tel.: 288 86 69 99, www.amphitheater-berlin.de
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