Klangwelten, Bilderwände

Vera Nemirova inszenierte bei den Salzburger Festspielen Alban Bergs »Lulu«

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist ein längst etabliertes, aber doch schwieriges Stück Oper, diese »Lulu«. Alban Berg hat sie nicht vollenden können, bevor er starb. Dass Friedrich Cerha das Risiko eingegangen ist, auf der Basis von Skizzen, einfühlendem Instinkt und Könnerschaft, das Fragment zu vollenden, hat sich ausgezahlt. Seit der Uraufführung der ergänzten, dreiaktigen Fassung durch Pierre Boulez 1979 in Paris, ist das originale Fragment auf den Bühnen zur Ausnahme geworden.

Die schillernde Frauen-Figur, die Alban Berg aus Wedekinds »Erdgeist« und »Die Büchse der Pandora« destilliert und zu seiner Lulu erhob, hat eine geradezu mythische Dimension. Sie wird aber auch als eine Frau in einer sozial konkreten Geschichte lebendig, wenn man ihr Ende in der Londoner Absteige miterlebt. Dort, auf der Nachtseite des Lebens, begegnen der zur Straßenhure abgestiegenen Lulu noch einmal all die Männer, die an ihr zugrunde gegangen sind. Und Jack the Ripper ist kein anderer als der dunkle Wiedergänger von Dr. Schön. Wenn dieser Massenmörder (hier sogar auf offener Bühne) zusticht, ist das die zerstörerische Vollendung einer Obsession, die diese beiden zueinander trieb, ihnen aber doch keine Chance ließ, im Rahmen einer »normalen« bürgerlichen Existenz zu leben.

Nemirovas Lulu ist dabei nicht der rätselhafte Vamp. Hier bleibt die so attraktive wie koloratursicher singende Petricia Petibon als Lulu auch äußerlich im Grunde immer bei sich und wird dadurch zum Fixpunkt, auf den sich das Begehren der Männer und deren Geschwätz richten. Der sozusagen weibliche Blick der Regisseurin Vera Nemirova auf die Welt männlichen Begehrens umgeht die Fragen des Stückes und die Fragwürdigkeiten seines Frauenbildes nicht. Für ihre vom sozialen Kontext abrückende, auf den exemplarischen Kern zielende Sichtweise ist das Problematische der Salzburger Inszenierung sogar von Vorteil. In Salzburg hat man in diesem Jahr nämlich ohne inhaltlich zwingenden Grund, aber mit erheblichem Marketingeffekt mit Jonathan Meese (für »Dionysos«) und Malerstar Daniel Richter für »Lulu« zwei Zampanos der bildenden Kunst in den Festspielbezirk gelockt und versucht, das als ästhetischen Aufbruch zu verkaufen. Was im Falle von Meese noch überraschend gut funktionierte, ist bei Daniel Richter eher Beleg dafür, dass Bühnenbildnerei eben doch eine eigenständige Profession ist. Richters Riesenporträt der liegenden Lulu vor einem Männertorso und die mit 48 Meter Breite noch viel gewaltigeren Hintergrund-Prospektbilder (mit wie gesprayt wirkenden Gesichtern und dann am Ende mit einer Winterlandschaft) weiten die Geschichte zwar in eine übermächtige atmosphärische Alptraumdimension, nehmen ihr aber zugleich einen Teil ihrer Möglichkeiten zur Entfaltung als Theater.

Abgesehen davon, dass damit die besonderen Möglichkeiten der Steinarkaden in der Felsenreitschule verschenkt und die Spielfläche auf einen schmalen Streifen an der Rampe beschränkt werden, konzentriert sich Nemirova so auf intensive Personenführung und für das Paris-Bild auf eine turbulente Verlegung des Geschehens in den Zuschauerraum. In produktiver Spannung zur dominierenden Malerei haben Nemirova und Marc Albrecht am Pult den eben auch in Sachen Berg höchst versierten Wiener Philharmonikern ein grandioses Protagonisten-Ensemble auf ihrer Seite. Das fängt an bei dem in jeder Hinsicht phänomenalen Michael Volle als Dr. Schön, es geht weiter über Franz Grundheber als Schigolch, Pavol Breslik als exzellentem Maler, Tanja Ariana Baumgartner als eleganter Gräfin Geschwitz und Thomas Piffka als Alwa – bis hin zu Heinz Zednik als (Alt-)Prinz und Kammerdiener.

Daniel Richter ist kein richtiger Bühnenbildner. Aber doch so clever, dass er (fast) ganz Salzburg zur Bühne für seine Malerei gemacht hat. Seine Bilder kosten bis zu über 200 000 Euro. Man kann für die Festspiele nur hoffen, dass es für seine (sogar signierten!) Riesenbilder einen Größenrabatt gab.

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