»Stimulus« weckt meist nur Skepsis
US-Präsident Barack Obamas Konjunktur-Politik scheint Amerikaner nicht zu überzeugen
Anders als die meisten Amerikaner profitiert Eric Nakajima direkt vom Stimulus, dem Konjunkturpaket, das US-Präsident Barack Obama und seine demokratische Mehrheit im US-Kongress durchgesetzt haben. Nakajima ist im Bundesstaat Massachusetts verantwortlich für die Einführung und Förderung neuer Technologien. Allein für die Einführung von Breitband-Internetanschlüssen in entlegeneren Gegenden von Massachusetts hat er 45 Millionen Dollar aus dem Stimulus-Paket zur Verfügung. »Dieses Stimulus ist eine große Sache«, sagt Nakajima. »Auf lange Sicht ist das gesund für den Staat, weil damit Talente freigesetzt werden und die nächste großartige Idee auch aus den Berkshires kommen kann.«
Die Berkshires sind eine entlegene Bergregion von Massachusetts, wo es gerade 20 Prozent Breitbandverkabelung gibt. Er hofft, dass in den nächsten drei Jahren bis zu 3000 neue Arbeitsplätze entstehen, hauptsächlich im Dienstleistungsbereich für weltbekannte Forschungseinrichtungen wie das MIT oder Harvard.
Neue Jobs – das ist immer eine gute Nachricht in den USA, wo die bundesweite Arbeitslosenrate sich auf Dauer bei knapp zehn Prozent festzusetzen scheint. Die Mehrzahl der Amerikaner sieht das Reinvestitions- und Aufschwung-Gesetz von 2009 allerdings zunehmend skeptisch. Während Obama nicht müde wird, Europa zur Ankurbelung der Wirtschaft durch Ausgaben aufzufordern, scheint er die eigene Bevölkerung nicht von der Richtigkeit dieser Politik überzeugen zu können.
Die Demokraten hatten das Gesetz gegen den geschlossenen Widerstand der Republikaner durchgesetzt. Laut der jüngsten Umfrage des Fernsehsenders CBS News sind 56 Prozent der Amerikaner der Meinung, der »Stimulus« habe nicht die erhoffte Wirkung. 18 Prozent glauben gar, dass die Maßnahme schädlich für die Wirtschaft sei. Nur 23 Prozent sind davon überzeugt, dass das Stimulus-Paket die Wirtschaftslage verbessert habe.
Ohne Stimulus noch schlimmer
Um diesem Trend entgegenzuwirken haben Vizepräsident Joe Biden und Obamas oberste Wirtschaftsberaterin Christina Romer auf einer Veranstaltung in Washington in der vergangenen Woche das Stimulus-Paket gelobt. »Dies wird ein Sommer des Aufschwungs«, sagte Biden dabei voraus.
Und Romer erklärte: »Das Aufschwunggesetz hat eine wesentliche Rolle bei der Änderung des Kurses der Wirtschaft gespielt.« Es habe zu mehr Wachstum geführt, als ohne das Paket möglich gewesen wäre und es seien im zweiten Quartal 2010 zwischen 2,5 und 3,6 Millionen Arbeitsplätze gesichert, teils auch neu geschaffen worden.
Bisher hat die Regierung 116 Milliarden Dollar aus dem Paket direkt ausgegeben. Dadurch sei das Wirtschaftswachstum um drei Prozent stärker gestiegen, als das sonst der Fall gewesen wäre, heißt es in dem Bericht Romers.
Das Problem für die Gesellschaft in den Vereinigten Staaten ist, dass ein Großteil der Ankurbelungsprojekte öffentliche Bereiche betrifft. In privaten Unternehmen sind seit Dezember 2009 nur 600 000 neue Beschäftigungsverhältnisse entstanden.
Das ist nicht genug, um den jahrzehntelangen Wachstumsrhythmus des Arbeitsmarktes im Einklang mit dem Wirtschaftswachstum zu erhalten. Auch wenn es den USA ohne das Stimulus-Paket noch schlechter ginge, so haben die wenigsten Amerikaner direkt etwas davon.
Wichtiges Wahlkampfthema
Im Vorwahlkampf – im November wird das Abgeordnetenhaus und ein Drittel des Senats neu gewählt – halten die Republikaner Obama und den Demokraten diese schwache Wirtschaftsentwicklung immer wieder vor. »Ganz klar, Obamas Stimulus-Plan ist gescheitert und hat nicht funktioniert wie vorhergesagt«, sagte der Abgeordnete Kevin Brady aus Texas. »Stattdessen war diese Erholung ausgesprochen schwach für eine Phase nach einer tiefen Rezession.«
Selbst Romer muss zugeben, dass die Erholung nur schwach ist. Dabei wies sie aber alle Überlegungen zurück, Obama könnte vorgehen wie Ex-Präsident Franklin Roosevelt, dessen Berater ihm nach der großen Depression 1937 geraten hatten, die umfangreichen Staatsausgaben zu bremsen. Das werde es jetzt nicht geben, gab Romer zu verstehen. Das Wachstum »sei noch nicht gut, aber es geht sehr stark in Richtung einer langsamen, stetigen Expansion.«
Und Vizepräsident Biden nahm die Kritik der Republikaner zum Anlass, diesen eins auszuwischen: »Ich weiß jetzt, wogegen sie sind. Aber ich weiß nicht, wofür sie sind«, sagte er und setzte hinzu: »Ich meine das wörtlich.«
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