Milchhof
Digitales Erzähltheater
Mit einer ordentlichen Portion Coolness sind Frauke Havemann und ihre Crew von On Air Productions unbedingt gesegnet. Eine frühere Schulaula in der Schwedter Straße, in die man nur gelangt, wenn man durch Gänge stapft, in denen trotz der schon vor einigen Jahren erfolgten Schließung noch immer der Moder jahrzehntelanger Disziplinierung steckt, haben sie mit wenigen Mitteln in eine perfekte Videotheater-Erzähl-Lounge verwandelt. Zwei Monitore, eine Projektionswand und eine Nebelmaschine bilden das technische Equipment. Etwas gepolstertes Mobiliar lädt zumindest die Performer zum Herumlungern ein. Vor allem aber ist es ihre elegant-unterkühlte Art, die diesem Abend eine so gelassene Atmosphäre verleihen.
Neal Wach, der mit Havemann seit Jahren den Weg des digitalisierten Erzähltheaters beschreitet, eröffnet mit seiner sanften, sich in jedes Ohr einschmeichelnde Stimme. Nachdem seine Figur sich unmerklich verflüchtigt hat, er aber an den Reglern bleibt, übernimmt das Trio Priscilla Bergey, Erik Hansen und Eric Schefter die Regentschaft. Sie erfreuen zunächst die vom Pidgin-Englisch des Alltags verstopften Gehörgänge mit einer hohen Form dieser so oft malträtierten Sprache. In einer Fast-Dunkelheit, in die nur die Lichtstrahlen der Videoprojektionen und ab und an die einer Leselampe fallen, kreieren sie ein sehr selbstbezügliches Universum aus Worten, sparsamen Gesten und Videobildern. Schnell zeichnet sich auch hier eine Verlorenheit der Figuren ab. Spätestens als der Song über den durchs Weltall irrenden Major Tom intoniert wird, tritt das katastrophische Moment dieses Abends hervor.
Es bleibt jedoch immer in die vorherrschende technoide Gelassenheit eingebettet, selbst dann, als die Crew sich geheimnisvoller Eindringlinge, die sich bislang unbekannter Technologien bedienen, erwehren muss. Aus dem Skript von Mark Johnson, der in dieser Stadt mit seiner zwischen Video und Performance oszillierenden Gruppe »Detektor« einstmals über Underground-Ruhm verfügte, hat die frühere Choreografin Frauke Havemann ein narratives Labyrinth konstruiert. Eindrucksvoll – und wieder einen neuen Schritt auf dem experimentellen Weg mit Videobildern markierend – sind die ins Dunkel eingeblendeten Köpfe der Performer. Sie haben skulpturale Qualität. Sie wirken so vom Rest des Körpers getrennt und ebenso aus dem Kontext herausgeklöst wie die Köpfe antiker Statuen, die in Museen auf Sockeln präsentiert werden. In diesem Videotheater rutschen sie in den Sockel – den mit einem Bildschirm versehenen Elektronikkasten – hinein.
Weil sich die projezierten Bilder manchmal von der Liveperformance lösen, entsteht zudem ein Erzählraum, in dem die gewohnte Einheit von Zeit und Raum hinfällig wird. Ein klaffender Spalt eröffnet sich. In diesen taumelt auch der Zuschauer/Zuhörer hinein. »Why is it so dark?« ist ein sehr subtiles Projekt. Es ist eher eine durch Performance angeregte Meditation als ein auf üblichem Wege konsumierbares Schauspiel. Die technische Qualität entzückt. Aber man muss für den Gang durch das technoide Erzähllabyrinth bereit sein.
Bis 19.6., Unbound, Episode 1: Why is it so dark?, Aula im Milchhof, Schwedter Str 232, 20.30 Uhr, Karten 10/7 Euro, Tel.: 36 46 69 40
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