• Kultur
  • Beilage zur Leipziger Buchmesse

Hedgefonds und Hundefutter

PAUL TORDAY erzählt vom Wettrennen um den Reichtum

  • Lilian-Astrid Geese
  • Lesedauer: 3 Min.

Hochstapler bevölkern die Welt des Hector Chetwode-Talbot. Vielleicht ist er einer von ihnen. Nach einem Afghanistan-Einsatz, bei dem acht unschuldige Paschtunen ums Leben kommen, verlässt »Eck« die Army, um sich, nach einem kurzen Intermezzo bei einem Sicherheitsdienst, als Finanzmakler zu verdingen. Bestens bezahlt von seinem alten Bekannten, dem Börsenspekulanten Bilbo Mountwilliams, akquiriert er solvente Investoren für dessen lukrative Firma in London. Eck hat keine Ahnung von Hedgefonds und Subprimes, doch er genießt Vertrauen. Sein bester Freund Henry Newark, alter englischer Landadel, verschuldet den Familienbesitz, um beim Wettrennen zu den Gewinnern zu gehören. Es ist der Vorabend der Finanzkrise …

Paul Torday thematisiert in seinem dritten Roman in leisen Tönen und nah am wirklichen Leben, ob die gängigen Vorstellungen von Gut und Böse noch haltbar sind. Denn der naive Eck hat gewissermaßen ein Alter Ego. Charlie Summers – falls dies sein richtiger Name ist – taucht eines Tages in dem südfranzösischen Dorf auf, in dem Eck und Henry einen »geschäftlichen« Golfurlaub verbringen. Optisch könnte Summers Ecks Bruder sein, vielleicht ein wenig älter und verlebter. Wegen aktueller »Probleme mit dem Finanzamt« hat er sich »aus England zurückgezogen«. Eigentlich handelt er mit japanischem Hundefutter, das er selbst zusammenmixt, und das weder japanisch noch für die Hunde bekömmlich ist. Dann sattelt er um und wird Vertreter für holländische (!) Weine. Im Versuch, ein Stückchen vom Glück zu ergattern, ist ihm kein Trick zu gemein, keine Finte zu lausig. Silvia Bentley liebt ihn dennoch. Eck hingegen liebt seine Cousine Harriet, die sich nach dem Tod ihres Mannes im Irankrieg ebenfalls in die Provence zurückgezogen hat.

Für das eher bedrückende Leben der hart an der Grenze der Alltagstauglichkeit entlang schlitternden Protagonisten spielt es eigentlich keine Rolle, ob morgen die Finanzkrise einsetzt oder nicht. Sie leben in ihrem eigenen Kosmos. Ihre Unentschlossenheit spiegelt sich im Stil und in der Dynamik der Erzählung brillant wider. Was besonders im Vergleich zum Erstling des Autors – »Lachsfischen im Jemen« – fehlt, sind leider der beißende Humor und die deftige Ironie. »Das hoffnungslose Leben des Charlie Summers«, wie die Übersetzung des englischen Originaltitels lautet, segelt vielleicht auch auf Grund des narrativen Zeitlupentempos und vieler Redundanzen immer wieder in den stehenden Gewässern der Schwermütigkeit. Das Fieber der Londoner City vor dem Crash kommt in der (scheinbaren) Idylle der Herrensitze Englands nicht an. Anders gesagt: Der mit 287 Seiten eher kurze Roman hat Längen. Was an Schwung fehlt, macht Überzogenheit an anderer Stelle nicht wett: Der mysteriöse Geschäftspartner aus Dubai entpuppt sich als Financier der Taliban, Eck droht wegen des Zwischenfalls am Hindukusch eine Fatwa Osama bin Ladens, und am Schluss sind nicht die Terroristen, sondern die Geheimdienste ihrer Majestät die Strippenzieher.

Zugegeben, es ist schwer, Fiktion zu schreiben, wenn die Realität zunehmend irreal wird. Eigentlich steht Paul Torday für Unterhaltungsliteratur auf hohem Niveau. »Charlie Summers« kommt dafür ein wenig zu moralisch daher. Allerdings entschädigt der Schluss der Geschichte, der sich als Happy End maskiert, aber es vielleicht gar nicht ist? Ein Roman also, der nicht mit dem Ende endet. Der Fragen offen lässt. Das wiederum gefällt mir.

Paul Torday: Charlie Summers. Roman. A. d. Engl. v. Thomas Stegers. Berlin Verlag. 287 S., geb., 22 €

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