Hass im Reggae-Rhythmus
Berlin-Auftritt des schwulenfeindlichen Sängers Sizzla sorgt selbst im Bundestag für Unmut
Seit die Musikindustrie den Punk vereinnahmt hat, scheinen die letzten Tabubrüche auf der Bühne ihre Wirkung verloren zu haben. Nichts kann mehr schocken, nichts ist mehr anstößig. In liberalen Zeiten wird alles geduldet – sofern sich damit Geld verdienen lässt. Doch nun kommt mit Sizzla einer der populärsten Künstler aus Jamaika nach Berlin, und das Konzert am Donnerstag im Kesselhaus sorgt für Unmut. Am gleichen Abend gibt es eine Demonstration in Prenzlauer Berg. Sogar der Bundestag beschäftigt sich mit dem Musiker.
Volker Beck, Bundestagsabgeordneter der Grünen, findet es unerträglich, dass Sizzla in seinen Texten immer wieder zur Ermordung von Homosexuellen aufruft. Der Dancehall-Star, der bürgerlich Miguel Collins heißt, fiel auf Konzerten mit Sätzen auf wie: »Die Schwulen müssen mit Schüssen in den Kopf sterben. Wer sie tot sehen will, soll jetzt die Hand heben.« In Jamaika kam es bereits zu regelrechten Verfolgungsjagden auf Schwule.
Klaus Jetz, Sprecher des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland (LSVD), unterstützt die Demonstration. Er weiß auch die Unterstützung der jamaikanischen Homosexuellen-Organisation J-Flag auf seiner Seite: »Sie haben uns in Deutschland ausdrücklich darum gebeten, gegen Musiker wie Sizzla zu agitieren. Homosexuelle in Jamaika können gegen sie nichts ausrichten.«
Auf Initiative des LSVD und Volker Beck schrieb das Bundesinnenministerium im vergangenen Jahr Collins alias Sizzla im Schengen-Informationssystem aus, woraufhin er nicht einreisen konnte. Die geplante Tour fiel aus. Auch in diesem Jahr hat Volker Beck bei Bekanntgabe der Konzertdaten um ein Einreiseverbot gebeten. »Mir ist es schleierhaft, warum Sizzla jetzt doch ein Visum bekommen hat.« In einer dringlichen Anfrage im Bundestag am Mittwoch will Beck das noch einmal zur Sprache bringen.
Sizzla, der bei der Agentur Contour unter Vertrag steht, wird in Deutschland auch in Stuttgart, München und Wuppertal singen.
Aller Voraussicht nach, wird das Konzert am Donnerstag in Berlin stattfinden. »Auch wir sind gegen Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit«, heißt es in einer Erklärung des Kesselhauses, das »eine Auseinandersetzung zum Thema Homophobie wichtig« findet. Allerdings sei das nicht die Aufgabe eines einzelnen Veranstalters, sondern der schwul-lesbischen Verbände.
Martin Sonnenburg von dem Bündnis »Smash Homophobia«, das die Demonstration am Donnerstag organisiert, findet das scheinheilig: »Sizzlas Hetze ist nicht unbekannt. Die Veranstalter lassen sich davon aber nicht abhalten und buchen ihn trotzdem – weil er Geld bringt.«
Das Kesselhaus beruft sich darauf, dass Collins im April 2007 den Reggae Compassionate Act (RCA) unterschrieben hat. Das ist eine Selbstverpflichtung der Reggae-Künstler, mit ihren Werken niemanden mehr zu beleidigen. Nach mehreren Konzertabsagen mit umstrittenen Musikern hat das Kesselhaus diese Vereinbarung als Voraussetzung für künftige Auftritte eingeführt.
Anja Kofbinger und Thomas Birk von den Grünen im Abgeordnetenhaus vermissen in der Selbstverpflichtung allerdings eine Entschuldigung gegenüber beleidigten Schwulen und ein ausdrückliches Versprechen, keine homophoben Texte mehr zu singen. Auch Sonnenburg von »Smash Homophobia« hält die Vereinbarung für ein Lippenbekenntnis, denn eine Selbstverpflichtung ohne Sanktionsmöglichkeit bei Missachtung sei wirkungslos. »Was diesen Künstlern allerdings weh tut, ist, wenn sie das im Geldbeutel spüren.« Deutschland sei ein wichtiger Musikmarkt – dass Sizzla hier keinen Anklang findet, dafür will die Demonstration sich einsetzen.
Demo: 26.11., S-Bhf. Schönhauser Allee, 18.30 Uhr
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