Sieg bei Vuelta: Jumbos-Vismas »Radsport total« funktioniert

Das Team Jumbo-Visma dominierte mit dreiköpfiger Spitze die Spanienrundfahrt bis zum Schluss. Am Ende darf Helder Sepp Kuss den Sieg einfahren

  • Tom Mustroph, Madrid
  • Lesedauer: 4 Min.
Pure Dominanz: Sepp Kuss wird von seinen Kapitänen Jonas Vingegaard (l.) und Primož Roglič bis auf das Vuelta-Podium flankiert.
Pure Dominanz: Sepp Kuss wird von seinen Kapitänen Jonas Vingegaard (l.) und Primož Roglič bis auf das Vuelta-Podium flankiert.

Radprofis können schon mal einen gewissen Sinn für Showeinlagen haben. Als die vorletzte Etappe der Vuelta a España am Samstag ihrem Ende entgegen ging, ließen sich Sepp Kuss, Jonas Vingegaard und Primož Roglič aus der Favoritengruppe ein wenig zurückfallen. Sie wollten die Asphaltbühne in der Sierra de Guadarrama ganz für sich. Dann steuerten die drei ihre Räder nahe aneinander, korrigierten noch mal Balance und Richtung, bis das Bild endlich gestellt war: Der Mann im roten Führungstrikot in der Mitte legte seine Hände auf den Schultern seiner Begleiter ab. Die Männer links und rechts, zweifacher Tour-Sieger der eine, dreifacher Vuelta-Gewinner und Giro-Champion dieses Frühjahrs der andere, deuteten mit ihren freien Händen auf den Gefährten in der Mitte: Der dort ist diesmal die Hauptfigur dieser Show. Und wir heißen ihn willkommen im Klub der Grand-Tour-Sieger.

Die offizielle Aufnahme in diesen exklusiven Zirkel – 162 Männer gehörten ihm bislang an – war zwar auf den späten Sonntagabend vertagt, den Abschluss der Vuelta in Madrid. Aber die Dominanz über die vergangenen drei Wochen war mehr als deutlich. Seit der achten Etappe trug Kuss das Rote Trikot, seit der 13. besetzten Jumbo-Akteure die ersten drei Plätze im Klassement. Fünf Etappensiege holten sie insgesamt.

Dass man die Vuelta nicht schon am Ende der zweiten Woche wegen Chancenlosigkeit der Verfolger zu den Akten legen konnte, lag ebenfalls nur an den drei Dominatoren. Denn die sportliche Leitung ließ für einige Tage das freie Spiel der Kräfte zu. »Das Team hat uns allen die Chance gegeben, um den Sieg zu fahren«, erklärte Jonas Vingegaard. Der Däne raste dann auch am Col du Tourmalet sowie in Bejes gleich zweimal allen davon und rückte dem Teamkollegen Kuss bis auf acht Sekunden nahe. Roglič wiederum schüttelte Kuss am Angliru ab.

Alle Kotrahenten waren da längst abgehängt. In deren Teambussen herrschte Resignation. »Ja, das ist die Millionenfrage«, meinte Movistars sportlicher Leiter José Vicente Garcia Acosta sarkastisch auf die nd-Frage, wie man in die Phalanx des niederländischen Teams einbrechen könne. »Wir hoffen nur noch auf einen Etappensieg«, meinte der Spanier schließlich. Weil es die anderen Teams ähnlich hielten, kam Spannung nur dann auf, wenn Vingegaard oder Roglič mal mit den Muskeln spielten und die Führung ihres eigentlichen Edelhelfers Kuss bedrohten. Der US-Amerikaner wurde von einer großen Woge der Zuneigung von Fans an der Strecke und in den sozialen Medien getragen. Selbst in den TV-Expertenkreisen der Ex-Profis, von Jens Voigt bei Eurosport bis hin zu Sean Kelly bei GCN, loderte der Zorn über die vermeintliche Undankbarkeit der Stars gegenüber ihrem Helfer.

Diesen Heroen des alten Radsports entging freilich, dass sich der niederländische Rennstall längst vom Hierarchiespiel verabschiedet hatte. Statt einen Kapitän zu haben, für den die Matrosen an Wanten und Rahen, Kesseln und Pumpen schuften, praktiziert das Team den »Radsport total«. »Wir orientieren uns dabei am ›voetbal total‹, den das Fußball-Nationalteam der Oranje in den 1970er Jahren um Johan Cruyff herum praktizierte«, erläuterte Jumbos Teamchef Richard Plugge gegenüber »nd«. War »voetbal total« durch ständige Positionswechsel der Spieler bestimmt, was die Gegner immens verwirrte, so ist auch der totale Radsport von Positionswechseln geprägt.

Wout van Aert etwa tummelte sich bei der Tour de France in Massensprints, Ausreißergruppen und Bergzügen, meist bevor dann Kuss übernahm. Bei der Tour 2022 setzte sich der durch einen Sturz lädierte nominelle Kapitän Roglič tagelang aufopferungsvoll als Helfer für den späteren Gesamtsieger Vingegaard ein. Und bei den Klassikern pflegt der Rennstall ohnehin ein munteres Wechselspiel mit all seinen Akteuren. Für manche Teile des Establisments war die Aufhebung der Stallorder, also das freie Spiel der Kräfte, hier bei der Vuelta dann aber doch zu modern. Zum Finale der Spanienrundfahrt passte sich die Teamleitung dem konservativen Mainstream wieder an. Roglič und Vingegaard fuhren defensiver. Am Dreifachtriumph gab es ohnehin wenig Zweifel.

Die Zukunft wird zeigen, wieviel »Radsport total« sich Jumbo-Visma weiterhin leisten will. »Ich habe bei dieser Vuelta gemerkt, wozu ich im Stande sein kann, und ich möchte das auch gern weiter fortsetzen«, deutete Kuss neue Begehrlichkeiten an. Er fühle sich aber auch in der Helferrolle wohl, ergänzte er. Und weil auch Roglič wie Vingegaard offenbar gut helfen können, bei Vingegaard ist es gerade mal drei Jahre her, dass er sich über diese Rolle in der World Tour noch mächtig gefreut hatte, kann es mit den munteren Positionswechseln durchaus weitergehen. Roglič wie Vingegaard wissen schließlich auch: Je unberechenbarer ihr Team für die Gegner ist, desto größer sind ihre individuellen Chancen. Dieses Verwirrmoment unterscheidet ihren Rennstall vom früheren Dominanzteam Sky mit dessen starren Hierarchien. Und spannender für die Fans ist es allemal.

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