- Kultur
- 50 Jahre Queen
Erste Single von Queen: Camp muss kein Feldlager sein
Vor 50 Jahren veröffentlichten Queen ihre erste Single – der Anfang einer Band, die neue Maßstäbe in puncto Authentizität setzte
Der Start missglückte. Die Debütsingle »Keep Yourself Alive«, die im Sommer 1973 erschien, floppte. Das sollte Queen kein zweites Mal passieren. Die Nachfolgesingle in Großbritannien »Seven Seas of Rhye« schaffte es unter die ersten zehn. Bereits wenige Jahre später, 1981, hatte man so viele Top 10-Erfolge zusammen, dass es für eine »Greatest Hits«-LP reichte. Die hat sich im Vereinigten Königreich mit sieben Millionen Stück bis heute besser verkauft als jedes Beatles-Album.
Man kann davon ausgehen, dass das eine oder andere Exemplar ein Verlegenheitsgeschenk war. Bevor man beim Schlips- oder Parfümkauf danebengriff, entschied man sich lieber für dieses Album. Oder für ein anderes Werk von Queen. Damit konnte man musikalisch nichts falsch machen. Queen-Alben funktionieren wie Gemischtwarenläden – da ist für jeden was dabei.
Manche Bands – The Beatles, Pink Floyd, The Who, Kraftwerk – mochten die Entwicklung der Rock- und Popmusik vorantreiben. Die Stärke von Queen lag auf einem anderen Gebiet. Überzeugender noch als David Bowie gelang es ihnen, jeden Musikstil zu ihrem eigenen zu machen: Hardrock (»Sheer Heart Attack«), Operette (»Bohemian Rhapsody«), Ragtime (»Good Old-Fashioned Lover Boy«), Disco (»Don’t Stop Me Now«), Rock’n’Roll (»Crazy Little Thing Called Love«), Funk (»Another One Bites the Dust«) und Pop (»Radio Ga Ga«).
Wobei eigentlich jeder Queen-Song ein Popsong war. Dafür sorgte schon Freddie Mercury, der es schaffte, selbst harten, aggressiven Stücken wie »Mustapha« den Ernst auszutreiben. Während Gitarrist Brian May mit der Konzentration und Akribie eines Wissenschaftlers zu Werke ging (eine Grundhaltung, die ihm später half, seinen Doktor in Astrophysik zu machen), vermittelte Mercury den Eindruck: »Der will bloß spielen.« Denn Mercury war bereits »Camp« zu einer Zeit, als man in Deutschland das Wort nur als Synonym für Feldlager kannte.
»Camp«, das ist »eine stilistisch überpointierte Art der Wahrnehmung von kulturellen Produkten aller Art, die am Künstlichen und der Übertreibung orientiert ist. (...) Nach Susan Sontag muss eine gewisse ›Theatralik‹, ›Leidenschaft‹ und ›Verspieltheit‹ sichtbar werden, Camp-Ironie ist überwiegend auf sentimentale und liebevolle Weise ironisch, will die erwählten Gegenstände, Personen und Kunstwerke nie nur vorführen oder der Lächerlichkeit preisgeben.« Soweit Wikipedia.
Man kann es auch so ausdrücken: Camp stürzt sich mit Begeisterung auf Pathos, Kitsch und Schwulst. Große Oper statt trister Realismus. Das Künstliche, Überzeichnete und Exaltierte ist der gewöhnliche Zustand. Deshalb fragt sich ein Camp-Musiker auch nie: »Ist das Ganze noch glaubwürdig?« Der Zuhörer sehr wohl. Dass Queen – ungeachtet ihres musikalischen Könnens – polarisierten, lag daran, dass Subtilität für Mercury ein Fremdwort war. Alles hatte maßlos zu sein, Grenzen sprengend. Das passte zum Geist einer Zeit, in der Musiker, Produzenten und Verleger das Kokain eimerweise konsumierten.
Anlässlich der Veröffentlichung von »Jazz« schmiss die Plattenfirma WEA im Herbst 1978 die größte Party der Musikgeschichte. Ein komplettes Stadtviertel von New Orleans wurde zum Schauplatz einer professionell organisierten Orgie. Mittendrin Queen, die eigens mit dem Privatjet eingeflogen worden waren. Und alle feierten mit, einschließlich der Sekretärinnen, die durch die Bank stoned waren. In dem Artikel »Platinum Rising« (erschienen in der amerikanischen »Rolling Stone«-Anthologie »The ’70s«) beschreibt Stan Cornyn einige nicht jugendfreie Details: »Die Massen strömten herbei, um jene Frau zu sehen, die Zigaretten über einer Körperöffnung rauchte, bei der sich etwaige Bedenken hinsichtlich Lungenkrebs erübrigten.«
Dagegen war es vergleichsweise zurückhaltend, dass für die Single »Bicycle Race« ein Video gedreht wurde, in dem Queen 60 Frauen im Londoner Wembleystadion nackt Rad fahren ließen – Mercury wusste, wie man in die Schlagzeilen kommt.
Und er blieb sich bis zu seinem Tode treu. Selbstmitleid und Reue überließ er anderen. Im Video zur letzten Single vor seinem Ableben feiert Mercury sich und seine Band noch einmal richtig ab – ein Potpourri aus großen und skurrilen Queen-Momenten, das keinen Zweifel daran lässt: »The Show Must Go On.«
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