Schafft den Sozialen Wohnungsbau ab!

Warum muss man Investoren Geld hinterherwerfen, damit sie bezahlbaren Wohnraum schaffen, fragt sich Rainer Balcerowiak

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 4 Min.

Triggern ist heutzutage die halbe Miete. Im alltäglichen medialen Overkill braucht es schon eine möglichst schrille Überschrift, um wenigstens die unterste Wahrnehmungsschwelle zu überschreiten. Ganz im Sinne des großen Frankfurter Satirikers Eckard Henscheid, der den 1978 erschienenen dritten Band seiner »Trilogie des laufenden Schwachsinns« mit dem Titel »Die Mätresse des Bischofs« versah, obwohl in dem Buch weder ein Bischof noch eine Mätresse vorkommen.

Der Titel »Schafft den Sozialen Wohnungsbau ab!« für einen Artikel in einer sozialistischen Tageszeitung scheint sich also in dieser Tradition zu bewegen. Tut er aber nicht. Denn diese Forderung ist vollkommen ernst gemeint. Mehr noch: Sie weist den Weg, um wirklich dauerhaft bezahlbaren Wohnraum in entsprechenden Größenordnungen für breite Teile der Bevölkerung zu schaffen. Doch marktradikale FDPler, die jetzt vielleicht anerkennend nicken, weil endlich auch ein Linker begriffen hat, dass man das mit den Wohnungen doch bitte dem Markt überlassen solle, weil der das schon richten wird, sind auf der falschen Spur.

Zweifellos ist der »Soziale Wohnungsbau« eines der verrücktesten und kaputtesten Konstrukte, die sich die Architekten der »sozialen Marktwirtschaft« deutscher Prägung jemals ausgedacht haben. Das wird schon bei einem oberflächlichen Blick auf ein paar Zahlen deutlich. Betrug der Bestand an Sozialwohnungen 2002 noch 2,6 Millionen, so waren es 2022 nur noch weniger als 1,1 Millionen. Und bald werden es weniger als eine Million sein. Statistisch fällt alle 19 Sekunden eine alte Sozialwohnung weg, und der Neubau kann da bei weitem nicht Schritt halten.

Rainer Balcerowiak
Rainer Balcerowiak

Rainer Balcerowiak ist freier Journalist und arbeitet für das »MieterEcho« der Berliner Mietergemeinschaft.

Diese Wohnungen fallen raus aus der Sozialbindung, also jener vom Staat für viele Milliarden Fördermittel erkauften Zeitspanne – in der Regel 12 bis 20 Jahre, manchmal auch länger –, in der diese Wohnungen preis- und belegungsgebunden sind. Danach landen sie, von einigen Segmenten abgesehen, einfach auf dem freien Wohnungsmarkt. Das bedeutet für viele der verbleibenden Sozialmieter, dass die Mieten nach einiger Zeit ein Niveau erreichen können, das für ihren Haushalt nicht mehr zu stemmen ist. Und das bedeutet auf der anderen Seite, dass dem stetig wachsenden Bedarf an Wohnungen mit bezahlbaren Mieten ein immer geringeres Angebot gegenüber steht.

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Dennoch will die Regierung die Förderung des »Sozialen Wohnungsbaus« nach einer langen Phase des wohnungspolitischen Stillstands immer weiter ankurbeln und die Förderkonditionen für die umgarnten privaten Investoren immer weiter verbessern. Was die besonders in der langen Niedrigzinsphase allerdings herzlich wenig interessierte. Wieso sollten sie sich auch diesen ganzen Sozialklimbim ans Bein binden, wenn der Bau von freifinanzierten Wohnungen wesentlich höhere Renditen verspricht und man sich die Mieter auch selber aussuchen kann?

Dieses System ist also im Sinne einer sozialen Wohnraumversorgung offensichtlich vollkommen irre. Es kostet unzählige Milliarden und schafft mehr Probleme, als es lösen kann. Also braucht es neue Systeme. Zwei wären da im Angebot. Die etwas »marktkonformere« Variante wäre die Wiedereinführung der Wohnungsgemeinnützigkeit, verbunden mit einem Fördersystem, dessen Kernelement die Kopplung jeglicher Förderung an die Schaffung dauerhaft preis- und belegungsgebundenen Wohnraums sein müsste. Die etwas radikalere Variante wäre, dass der Staat den Wohnungsbau nicht mehr fördert, sondern die Kommunen finanziell dazu ertüchtigt, selber zu bauen, um Wohnraum zu schaffen, der dauerhaft in öffentlichem Besitz verbleibt. Wie das geht, zeigt uns die Stadt Wien seit fast 100 Jahren. Natürlich ließen sich beide Varianten auch kombinieren. Und warum macht man das hier nicht? Gute Frage. Auf die Antwort kommen Sie sicherlich auch alleine.

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