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- Faschismus
Enkelin Vera erinnert an Ernst Thälmann
Kundgebungen zum Jahrestag der Ermordung des KPD-Vorsitzenden in Berlin und Ziegenhals
Vor 79 Jahren, am 18. August 1944, ermordeten die Faschisten den KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann im KZ Buchenwald. Daran erinnert der Freundeskreis der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte Ziegenhals am 19. August um 14 Uhr in Berlin am Ernst-Thälmann-Denkmal in der Greifswalder Straße. Zudem lädt der Freundeskreis für den 20. August um 11.30 Uhr noch zur Seestraße, Ecke Birkenstraße im brandenburgischen Niederlehme. Dort erinnert seit 2013 nur noch ein Gedenkstein an die berühmte Tagung des Zentralkomitees der KPD vom 7. Februar 1933, bei der Thälmann seine letzte Rede gehalten hatte, bevor er verhaftet wurde. Seine Partei befand sich damals schon in der Illegalität. Thälmann sagte unter anderem: »Der Kampf, der vor uns liegt, ist der schwerste, den die Partei zu bestehen hat. Er kann nicht verglichen werden mit den Jahren seit 1923.«
Ort des Treffens war das Sporthaus Ziegenhals, eine von dem Sozialdemokraten Wilhelm Mörschel betriebene Gastwirtschaft. Sie gibt es so schon lange nicht mehr. Aber um den historischen Tagungsraum herum entstand in der DDR der 1953 eingeweihte Neubau der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte Ziegenhals. Hier erhielt einstmals so manches in die Pionierorganisation aufgenommene Kind feierlich sein Halstuch.
Doch auch die Gedenkstätte ist verschwunden. Sie wurde 2010 abgerissen, obwohl sie auf der Denkmalliste des Landes Brandenburg stand. Das kam so: 2002 ersteigerte Gerd Gröger, damals ein hoher Beamter im brandenburgischen Bauministerium, das attraktive Wassergrundstück für 86 000 Euro von der Treuhandfirma TLG. So günstig erhielt er es nur, weil der Zuschlag mit der Bedingung erfolgte, die Gedenkstätte zu erhalten. Eine zum 1. August 2004 in Kraft getretene Gesetzesänderung erlaubte dem in Denkmalschutzfragen bewanderten Gröger dann jedoch den Abriss der Thälmann-Gedenkstätte, was den Wert des Grundstücks vervielfachte. Nach einigem Hin und Her ließ der Eigentümer die Gedenkstätte 2010 tatsächlich zerstören. An ihrer Stelle entstanden Doppelhäuser und Eigentumswohnungen.
Der Vorgang war und ist ein Skandal, der für Schlagzeilen sorgte – und für Prozesse, weil Gröger Zeitungen verklagte, die seinen Namen genannt hatten. Viele knickten ein und unterzeichneten Unterlassungserklärungen, nicht so »nd« und die »Junge Welt«, die es auf Gerichtsverfahren ankommen ließen. Nur sie durften den Namen hernach ungestraft schreiben. Denn Gröger sei nicht einfach ein Privatmann, sondern seine Funktion im Bauministerium und sein Insiderwissen rechtfertigten eine nicht bloß anonyme Berichterstattung, urteilte die Justiz.
Das Inventar, das Gerd Gröger eigentlich auf eigene Kosten einlagern sollte, landete beim Freundeskreis der Gedenkstätte. Dieser musste um die Exponate kämpfen, die teilweise auf Umwegen zu ihm gelangten. Der Freundeskreis bestückte damit eine Ausstellung in der Jonasstraße 29 in Berlin-Neukölln, die 2015 eröffnete und die Ausstellung in Ziegenhals nachstellte.
Kein Platz fand sich in Neukölln für das legendäre Motorboot »Charlotte«, mit dem Gastwirt Mörschel im Februar 1933 einige Zuhörer Thälmanns über den Krossinsee zum Bahnhof Zeuthen gebracht hatte, bevor die SA zur Durchsuchung am Sporthaus Ziegenhals eingetroffen war. Schriftsteller Fred Rodrian machte daraus eine spannende Szene in »Paul und Janni finden Teddy«, ein Buch über Ernst Thälmann und seine Zeit. Es erschien 1979 im Kinderbuchverlag Berlin.
Im selben Jahr wurde die »Charlotte« unter Denkmalschutz gestellt. Da befand sich das Boot in einem bedauernswerten Zustand. Ein hinzugezogener Schiffsbauingeneur empfahl seinerzeit, die »Charlotte« zu verschrotten und durch einen Neubau zu ersetzen. Doch das Institut für Denkmalpflege lehnte diesen Vorschlag ab. Stattdessen wurde ein Restaurierungskonzept erarbeitet und 1982 umgesetzt.
Während das Boot in der Thälmann-Gedenkstätte einen Unterstand hatte, wurde es nach dem Abriss in der Karl-Marx-Straße von Niederlehme unter freiem Himmel zwischengeparkt und verwitterte weiter. Michael Wippold, zurzeit Linke-Kreisvorsitzender in Dahme-Spreewald, organisierte im Sommer 2010 eine Aktion, bei der das Wasserfahrzeug gesäubert und gesichert wurde. Aber alle Pläne, es in der Nähe auszustellen, zerschlugen sich. Der Freundeskreis der Gedenkstätte fand eine andere Lösung: 2016 wurde die »Charlotte« auf einem Autoanhänger zur antifaschistischen Erholungs- und Bildungsstätte Heideruh bei Hamburg abtransportiert und dort mit einem Kran abgesetzt. Freiwillige errichteten einen Unterstand. Nach Auskunft der Bildungsstätte vom Montag befindet sich das Boot nach wie vor wohlbehalten an dem Ort und kann besichtigt werden. »Wir haben Corona überstanden und das Boot hat auch alles überstanden«, heißt es.
Für die Kundgebung am Sonntag in Ziegenhals ist Thälmanns Enkelin Vera Dehle-Thälmann als Rednerin angekündigt. Immer zum Jahrestag der Ziegenhalser Tagung sowie zum Geburtstag und zum Todestag von Thälmann ist der Freundeskreis präsent, die Enkelin hat dort schon oft gesprochen. Thematisiert werden soll diesmal bei den Kundgebungen in Berlin und in Ziegenhals auch der »Hamburger Aufstand« von 1923, bei dem Thälmann eine Rolle spielte.
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