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Jane Birkin gestorben: Die Frau, die gehört werden wollte

Sie war keine Feministin und hat dennoch alles richtig gemacht – zum Tod von Jane Birkin

  • Frank Jöricke
  • Lesedauer: 5 Min.

Dass das Leben als Frau früher knochenhart war und grausam und ungerecht sowieso – das hat sich inzwischen auch unter Männern herumgesprochen. Bei Grausamkeit denkt man natürlich an prügelnde Partner. Aber es gibt eine Form der Gewalt, die nichts mit Schlägen zu tun hat. Der Film »The Hours« aus dem Jahr 2002 zeigt eine amerikanische Vorstadthausfrau in den 50er Jahren (beklemmend gespielt von Julianne Moore), die unter Depressionen leidet. Ihr Ehemann ist ein netter, liebenswerter Kerl, der sich um sie bemüht, aber das Entscheidende nicht versteht: Seine Angetraute befindet sich im falschen Leben.

Es gab damals viele Frauen, denen es so ging. Gattinnen, die sich zwischen Gasherd und Waschküche zu Tode langweilten. »Girls just wanna have fun« (Cyndi Lauper, 1983) – davon war man in den 50ern und 60ern weit entfernt. Männer durften ihren Spaß haben. Wenigstens in Bars und Bordellen konnten sie den Stumpfsinn der Arbeitswelt stundenweise vergessen, Frauen nicht. Die einzige Möglichkeit, der Ödnis eines Hausfrauenlebens zu entkommen, war ein Leben als Künstlerin.

Und ein aufregendes Leben, das wollte Jane Birkin. Natürlich war sich die Tochter einer Schauspielerin und eines Majors, der im Zweiten Weltkrieg als Spion agiert hatte, der Hindernisse bewusst. Im Internat wurde sie gehänselt, weil sie androgyn aussah – »Ich war halb Junge, halb Mädchen; ich hatte keine Brüste, nicht mal einen Ansatz von Busen. Es war ein Albtraum.« Zudem war sie schüchtern. Da blieb ihr nur die Flucht nach vorn. 1963, da ist sie gerade mal 17, lernt sie den James-Bond-Komponisten John Barry kennen; als sie 19 ist, heiraten die beiden. Damit hat sie den Fuß in der Welt des Glamours. In Michelangelo Antonionis »Blow-up« (1966) spielt sie ein Fotomodell, nur eine kleine Rolle, aber groß genug, um öffentlich wahrgenommen zu werden. Auch in Frankreich.

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Der Film, der alles verändert, heißt »Slogan« (1969). Jane Birkin und Serge Gainsbourg sollen zwei Verliebte spielen. Doch die Chemie stimmt nicht. Also bittet Regisseur Pierre Grimblat die beiden zur Aussprache ins Restaurant. Doch wer fernbleibt, ist der Regisseur selbst. Ein cleverer Schachzug – nach Hauptgang und Dessert sind Birkin und Gainsbourg ein Liebespaar. Das Turteln im Film wirkt sehr authentisch.

Zwei Jahre zuvor hatte Gainsbourg mit Brigitte Bardot »Je t’aime … moi non plus« aufgenommen. Obwohl das Lied nicht erschien (Bardot zog kurz vor der Veröffentlichung ihre Einwilligung zurück), war Birkin eifersüchtig auf die Ex. Also ging sie mit Gainsbourg ins Studio und sang das Stück neu ein. Der Rest ist Legende. Jane Birkin seufzte und stöhnte um ihr Leben. Sie begriff: Hier tat sich eine Chance auf, die es kein zweites Mal geben würde. Denn in jener Zeit waren viele Frauen nicht nur unsichtbar, weil sich ihr Leben im engen Radius zwischen Einbauzeile und Einkaufsregalen abspielte, sondern auch unhörbar.

Wer sich zusätzlich als Halbtags-Sekretärin verdingte (das Haus musste schließlich abbezahlt werden), war nicht besser dran. Die Verdrossenheit über das immer gleiche Leben drang nicht nach außen. Stattdessen forderte der Hersteller eines hochprozentigen Herz-Kreislauf-Tonikums dazu auf: »Frauengold nehmen; und man kann über den Dingen stehen und objektiver urteilen.« Was de facto bedeutete: Erst mal einen hinter die Binde kippen, den Frust runterspülen, Klappe halten! »Lebensfroh mit Frauengold!«, »Nimm Frauengold und du blühst auf!« – hier wurde gegen Depressionen ein schon im 19. Jahrhundert verbreiteter »Kölnisch-Wasser-Alkoholismus« propagiert.

In dieser Welt des seelischen Elends war für Erotik kein Platz. Wo von Frauen die »Erfüllung der ehelichen Pflichten« eingefordert wurde, war Lust nicht vorgesehen. Die Frage nach dem weiblichen Orgasmus hätte man nicht verstanden. Entsprechend schlug »Je t’aime« 1969 wie ein Meteorit ein. Nur mit erregtem Atmen und Seufzen hatte Jane Birkin es geschafft – sie wurde gehört. Versuche, sie mundtot zu machen, scheiterten. Wenn der Song, weil »obszön«, nicht im Radio lief, kaufte man ihn halt im Plattenladen (was wiederum den Vatikan auf den Plan rief, der den italienischen Vertriebsleiter des Labels exkommunizierte).

Da Jane Birkin parallel dazu im Kassenschlager »Der Swimmingpool« (mit Alain Delon und Romy Schneider) mitspielte, war sie nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen. So wurde binnen weniger Monate aus einem schüchternen Mädchen ein Star. Das französische Publikum liebte ihre markante englische Aussprache. Über den künstlerischen Wert ihres Aufstiegs gab sie sich keinen Illusionen hin: »Ohne meinen Akzent hätte meine berufliche Laufbahn anders ausgesehen.«

Diesem Understatement blieb sie zwei Jahre später, 1971, treu, als sie das Cover von Serge Gainsbourgs »Histoire de Melody Nelson« zierte und zudem sang. Das Werk gilt als eines der einflussreichsten der französischen Popgeschichte, lieferte die Blaupause für Trip-Hop in den 90ern. Portishead, Beck, Air – sie alle knüpften an dieses Album an. Doch Jane Birkin spielte ihren Einfluss herunter: »Es schmeichelt mir natürlich, dass diese traumhaft schönen Lieder für mich geschrieben wurden. Aber wie viel Talent hatte ich wirklich? Vielleicht nicht sonderlich viel.«

Und vielleicht hatte sie in gewisser Weise damit sogar recht. Keiner ihrer vielen Filme und Songs, die noch folgten, konnte an ihre frühen Erfolge anknüpfen. Aber kreative Gene muss sie dennoch gehabt haben. Alle drei Töchter machten ihren Weg als Künstlerinnen. Beim Namen Gainsbourg denken viele zunächst an Tochter Charlotte, nicht an Ehemann Serge. Auch Tochter Lou Doillon ist in Frankreich ein Star (ihr Album »Places« hätte Leonard Cohen gefallen).

Jane Birkin aber blieb die Sängerin von »Je t’aime«. Vier Minuten und 22 Sekunden reichten aus, um sie unsterblich zu machen. Sie wird für immer die Lichtgestalt bleiben, die Millionen von Frauen dabei half, sich zu ihrer Sexualität zu bekennen und sie hörbar rauszulassen. Am 16. Juli 2023 tat Jane Birkin ihren letzten Atemzug. Natürlich in Paris, der Hauptstadt der Liebe.

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