Neu-Brandenburger willkommen

Politiker, Verbände und die Kirche bekräftigen ihr Bündnis für Demokratie und Weltoffenheit

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.

Wenn ein Gewerkschaftssekretär in einem Betrieb in Brandenburg »vor 1000 Mann« über die Integration von Flüchtlingen spricht, werde es plötzlich ganz still – bis einer rufe: »Verpiss dich von der Scheißbühne, du Arschloch, du linke Zecke!« Solche Situationen und mehr schildert Katja Karger, die Landesvorsitzende des Gewerkschaftsbundes DGB, am Freitag in der Potsdamer Staatskanzlei. Politiker und Vertreter beispielsweise von Sport-, Bauern-, Jugend- und Unternehmerverbänden sind dort zusammengekommen, um das Bündnis für Brandenburg neu zu beleben. Es wurde 2015 geschmiedet. Damals nahm Brandenburg 28 128 Flüchtlinge auf, von denen 13 688 vor dem Krieg in Syrien geflüchtet waren. Noch nie hatte das Bundesland in kurzer Zeit so viele Menschen aufgenommen.

»Dass es Probleme gab, ist unbenommen«, gesteht Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). »Aber wir können, glaube ich, heute konstatieren, dass wir es im Großen und Ganzen gut gelöst haben.« Viele fanden zwischen Elbe und Oder eine neue Heimat. Woidke nennt sie »Neu-Brandenburger« – nicht zu verwechseln mit den alteingesessenen Einwohnern von Neubrandenburg, einer Stadt in Mecklenburg-Vorpommern.

Im vergangenen Jahr brachte Brandenburg nun 38 941 Flüchtlinge unter. Diesmal stammten viele aus der Ukraine. Auch sie hatten ihre Heimat verlassen, weil dort ein Krieg tobt. Den aktualisierten Bündnisaufruf unterschreibt DGB-Chefin Karger am Freitag als Erste. Sie eilt dazu an die Tafel, sie muss schnell weiter. Die anderen lassen sich Zeit und setzen nach und nach ihren Namen unter das Dokument. Ministerpräsident Woidke, der 1,98 Meter groß ist und die Tafel überragt, geht dazu in die Hocke. »Wir brauchen einen neuen Schulterschluss. Jede und jeder muss einen Beitrag leisten«, bittet er.

Im jetzt aktualisierten Aufruf heißt es: »Migration, Zuwanderung und Zuzug stellen unsere Gesellschaft vor neue Herausforderungen. Damit verbundene Ängste und Probleme nehmen wir ernst. Wir wehren uns dagegen, dass demokratiefeindliche Kräfte die Krisen unserer Zeit instrumentalisieren, um Unsicherheit und Zukunftsangst zu verbreiten und dies für populistische und rechtsextreme Mobilisierung zu nutzen.«

Für die AfD ist kein Platz am Tisch vorgesehen. Sonst sind die Vorsitzenden aller Landtagsfraktionen vertreten – bis auf Jan Redmann von der CDU, der sich von der Abgeordneten Barbara Richstein vertreten lässt. Redmann hätte auch deplatziert gewirkt, nachdem er neulich sinngemäß äußerte, ein bloßer Schulterschluss aller Demokraten reiche nicht mehr aus, um die AfD niederzuhalten. Der Politiker bekräftigt dies dann am Freitag aus der Ferne. Er sagt der Nachrichtenagentur dpa: »Unterhaken gegen rechts ist zu wenig, denn die Menschen haben ganz reale Probleme und ganz reale Kritikpunkte an der Politik, auch an der Landespolitik.«

Mehr als Symbolpolitik verlangt DGB-Chefin Karger: »Ich wünsche mir von diesem Bündnis, dass es wirklich etwas tut. Denn das ist jetzt notwendig.« Im September sollen schon mal Demokratie-Dialoge starten, die sich bis ins nächste Jahr ziehen, wenn in Brandenburg erst die Kommunalwahl und dann die Landtagswahl ansteht. Die geplanten Dialoge näher vorzustellen, darauf verzichtet Alfred Roos am Freitag dann aber. Der Leiter der Koordinierungsstelle »Tolerantes Brandenburg« begründet das so: Der gesetzte Zeitrahmen sei mit knapp zwei Stunden schon weit überzogen.

Manche Rede hätte gern kürzer ausfallen können. Ministerpräsident Woidke gerät wieder einmal ins Schwärmen, wie gut es Brandenburg doch gehe: ein höheres Wirtschaftswachstum als Baden-Württemberg, im Bundesvergleich der höchste Zuzug aus anderen Bundesländern. Und als die Ukrainer kamen, »haben viele Brandenburger nicht nur ihre Herzen, sondern auch ihre Türen geöffnet« – sprich: sie privat bei sich beherbergt. Wenn alles so toll ist: Wo ist das Problem?

SPD-Fraktionschef Daniel Keller sagt es deutlich: »Brandenburg hat ein Problem mit Rechtsextremismus.« Linksfraktionschef Sebastian Walter warnt: »Die Demokratie ist so sehr in Gefahr, wie sie es viele Jahre nicht war.« Die AfD steht in den Umfragen bei 28 Prozent. »Es gibt Angsträume im Land«, sagt Walter. Das ist in vielerlei Hinsicht fatal. Schließlich sagt der Ministerpräsident – und so ähnlich steht es auch im Aufruf –, dass der angeblich erreichte Wohlstand nur dann gesichert beziehungsweise der wirtschaftliche Aufschwung nur dann fortgesetzt werden könne, wenn Brandenburg weltoffen sei und Menschen aus allen Teilen der Erde kommen, um hier zu leben und zu arbeiten.

Dirk Geisinger sieht das genauso. Er steht an der Spitze des britischen Rolls-Royce-Konzerns in Deutschland. Von den 3000 Beschäftigten in der Triebwerkefabrik in Dahlewitz haben ein Viertel keinen deutschen Pass und mehr als die Hälfte neben der deutschen Staatsbürgerschaft zumindest noch eine andere. In der Kantine herrsche ein wildes Gewirr verschiedenster Sprachen, erzählt Gensinger. Er hält das für einen Gewinn, könne man mit dieser Vielfalt der Belegschaft doch besser begreifen, wie die Kunden aus aller Herren Länder ticken.

Wittenberges Bürgermeister Oliver Herrmann (parteilos) erzählt weiter, was ihm der Leiter eines Fastfood-Restaurants in seiner Stadt sagte: »Ohne Flüchtlinge kein McDonald’s in Wittenberge. Wäre nicht mehr machbar.« Und Andreas C. Diemer von der Liga der Wohlfahrtsverbände berichtet, dringend benötigtes Pflegepersonal werde aus Vietnam, Indonesien und Spanien angeworben.

Sicher wäre ein weltoffenes Brandenburg da hilfreich. Aber Linksfraktionschef Walter sträubt sich, das nur von dieser Seite zu betrachten. »Demokratie ist mehr als ein Wirtschaftsfaktor«, beschwert er sich über solche Argumente. »Demokratie ist ein Wert an sich.« Walter will bei diesem Termin keine Oppositionsrede halten, wie er es im Landtag tun würde. Ein bisschen macht er es aber doch und kritisiert die überzogenen Lobeshymnen des Ministerpräsidenten, wie gut Brandenburg doch dastehe. Aber Walter findet dahin zurück, dass sich alle fragen müssten, was sie falsch gemacht haben. Auch seine eigene Partei nimmt er da nicht aus. Im Nachgang lässt er dann noch per Pressemitteilung verbreiten: »Das heute erneuerte Bündnis sendet ein wichtiges Zeichen, doch eines ist klar: Symbolische Gesten und wärmende Worte reichen nicht aus, um Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus in Brandenburg wirksam zu bekämpfen.« Es brauche konkrete Unterstützung der Menschen, die sich jeden Tag in der Schule, zu Hause und am Stammtisch für die Demokratie einsetzen, erklärt der Linksfraktionschef. »Antifaschismus ist keine Frage von links oder rechts, sondern von Anstand.«

Eine geschlossene Einheitsfront der Altparteien, wie die AfD gern behauptet, bildet sich nicht. Péter Vida von den Freien Wählern registriert vielmehr ganz unterschiedliche politische Ansichten im Bündnis. Er hat deutsche und ungarische Wurzeln. Seine Familie ist Mitte der 1990er Jahre nach Deutschland zurückgekehrt. Vida erinnert sich dankbar an die hier erfahrene Nächstenliebe.

Zum Abschluss erhält noch einmal Ministerpräsident Woidke das Wort: »Haben wir Grund zu Optimismus? Ich sage: Klares Ja.« Seinen Humor verliert Woidke nicht. Humor könnte vielleicht ein Mittel gegen Intoleranz sein, überlegt er. Denn seine Erfahrung sagt ihm: »Populisten können mit Humor überhaupt nicht umgehen.«

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