1. Mai: An die Arbeit denken

Feiern? Demonstrieren? Was es mit dem 1. Mai auf sich hat

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Montag ist schon wieder Feiertag. Der 1. Mai. Kann es denn genug Feiertage geben? Natürlich nicht! Man sollte auch den 30. April zum Feiertag erklären, denn da tanzen die Hexen zu Walpurgis, und deshalb gibt es mehr Veranstaltungen »Tanz in den Mai«, als es Mai-Kundgebungen gibt, so dass für manche am 1. Mai nicht viel Kraft zum Feiern bleibt. 1. Mai und Feiern, das scheint eine unlösbare Einheit zu sein.

Schwer zu erkennen, dass dies der Tag der Arbeit ist. An diesem Tag wird eines nicht getan: gearbeitet. Das ist schön und verrückt und normal in einer Welt, in der Kinder glauben, Lesen und Schreiben mit Hilfe von ChatGPT lernen zu können, also künstlicher Intelligenz, die einem das Schreiben abnimmt. Und Erwachsene glauben, dass das Streben nach Work-Life-Balance verlangt, das Leben strikt von der Arbeit zu trennen. Arbeit haben, das will jeder. Aber ohne arbeiten zu müssen.

In einer Zeit, in der Berlin das Myfest als freundliche Alternative zum revolutionären Mai erfand, ist es schwer, der allgemeinen Verwirrung zu entgehen. Es wäre also ein Wunder, wenn alle, die am 1. Mai frei haben, wüssten, was der Grund dafür ist. In einer Umfrage des »Stern« hatte jeder Vierte der Befragten keine Ahnung, warum der 1. Mai Feiertag ist. Unter den 18- bis 29-Jährigen wussten dies gar 47 Prozent nicht. Das ist zwar 15 Jahre her, aber inzwischen sind noch einige Corona-Jahre, Oliver Kahn als Bayern-Vorstand und Flüssiggasterminals gegen den Klimawandel zur allgemeinen Verunsicherung hinzugekommen. Und selbst das Myfest wird es in diesem Jahr nicht mehr geben.

Vereine wie Arbeitersamariterbund oder Arbeiterwohlfahrt künden trotzig von jener Zeit, als Menschen den 1. Mai zu einem denkwürdigen Datum machten. Als Arbeitskampf, Arbeiterverein, Arbeitersolidarität sich nicht der Zunge verweigerten und die Arbeitsspeichererweiterung irgendetwas aus der Landwirtschaft war.

Manche meinen sogar, dass der 1. Mai ein Relikt des Nationalsozialismus sei, nur weil die Nazis den Tag 1933 zum gesetzlichen Feiertag machten, um ihn propagandistisch für ihre Zwecke zu nutzen. Noch vier Jahre zuvor waren die Mai-Demonstrationen der KPD am sogenannten Blutsonntag erstickt worden, mit 33 Toten. Sie wurden in Abgrenzung gerade von den Faschisten und mit der Warnung vor der wachsenden Kriegsgefahr organisiert, waren also das Gegenteil von faschistisch motiviert. Das gilt auch für die Demonstrationen amerikanischer Arbeiter im Jahr 1886. Die versammelten sich zu Protesten um den 1. Mai, dem Tag, an dem jährlich und landesweit die befristeten Anstellungen ausliefen – ein gewaltiger Austausch von Arbeitskräften, der mit der Unsicherheit einer erneuten Anstellung irgendwo anders verbunden war. Die Arbeiter kämpften um den Achtstundentag, und ihre Forderungen wurden mit Polizeiübergriffen beantwortet und mündeten in blutigen Straßenkämpfen und mehreren Hinrichtungen.

Diese und weitere politische Kämpfe ließen den 1. Mai zu dem werden, was
er heute ist. Ein Feiertag, Gedenktag. Grund, an die Arbeit zu denken, ohne sie zu tun.

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