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Pflegeberufe: Schwester Agnes auf neuen Pfaden
Ausbildung »Generalistische Pflege« etabliert sich immer mehr in Brandenburg
Der morgendliche Sonnenschein dringt durch die bunten Fenster der Inselkirche auf Hermanswerder in Potsdam und verteilt im Inneren glühende Farben, als die Leiterin der örtlichen Pflegeschule Christel Bässler am Dienstag die Klassen des Frühjahrs 2023 begrüßt. Sie wendet sich an den kommenden Nachwuchs in den Kursen Generalistik-Pflege, Krankenpflege und Altenpflege und findet warme Worte für die Lernstarken unter den Neuen, wie auch für die weniger Lernstarken, für die Mutigen, für die Zurückhaltenden, für die Sicheren und die weniger Sicheren im neuen Jahrgang. Berichten kann die Schulchefin von einer Zäsur, denn just Tage zuvor war der erste Jahrgang der »Generalistischen Pflegeausbildung«, also der übergreifenden, alle Pflegebereiche einschließenden Pflege, ins Berufsleben verabschiedet worden. Als eine der ersten Ausbildungseinrichtungen hatte die zur Hoffbauerstiftung gehörende Pflegeschule in Potsdam-Hermannswerder drei Jahre zuvor, im April 2020, einen solchen Lehrgang etabliert. Absolventen dieses Ausbildungskurses können in sämtlichen Pflegeberufen arbeiten.
Fachleute sprechen von einem bedrückenden Zeichen: Trotz zahlreicher Bemühungen steigt die Attraktivität von Pflegeberufen nicht, im Gegenteil: Die Zahl der Auszubildenden geht weiter deutlich zurück. Im vergangenen Jahr haben rund 4000 Menschen weniger als im Jahr 2021 einen Ausbildungsvertrag in der Pflege abgeschlossen. Das sei nach – allerdings vorläufigen – Zahlen ein Rückgang um sieben Prozent, berichtete das Statistische Bundesamt am Dienstag. Während im Jahr 2021 noch 56.300 neue Ausbildungsverträge in der Pflege abgeschlossen wurden, waren es 2022 nur 52.300. Insgesamt waren im vergangenen Jahr 146.500 Menschen in der Ausbildung zum Beruf der Pflegefachfrau beziehungsweise des Pflegefachmanns. dpa/nd
Von »73 Menschenfreunden« spricht der Geschäftsführer der Hoffbauerstiftung Frank Hohn in seinen Grußworten, womit er die vor ihm in den Kirchenbänken sitzenden jungen Neuankömmlinge meint, die sich ihm zufolge mit Hermannswerder für eine »bunte Insel der Bildung« entschieden hätten. »Sie sind bei uns in guten Händen«, versichert er. Rund 100 »Ausbildungspartner« – Krankenhäuser wie auch ambulante Einrichtungen – würden diese Ausbildung ergänzen. »Beißen Sie sich durch und haben Sie Spaß miteinander.« Er ergreift im Wechsel mit Hans-Ulrich Schmidt das Wort, dem Geschäftsführer des örtlichen Großkrankenhauses »Ernst von Bergmann«, wobei als »Staffelstab« den beiden ein Blutdruckmessgerät dient. »Anfang Oktober 1987 saß ich hier und habe begonnen, den Beruf der Krankenschwester zu erlernen«, erfahren die Neuankömmlinge von Geschäftsführer Schmidt. »Der Begriff hat sich geändert, die Tätigkeit nicht.« Wie sein eigener Weg beweise, seien die Berufsaussichten vielseitig.
Er freue sich darüber, dass viele engagierte Menschen sich wieder für den Pflegeberuf entschieden haben, so Gesundheitsstaatssekretär Michael Ranft (parteilos, für Grüne) bei der Willkommensfeier. »Sie werden Menschen helfen, die unserer Unterstützung und unserer Fürsorge bedürfen.« Er verheißt den Berufseinsteigern: »Kein Arbeitstag wird dem anderen gleichen.« Ranft lässt anklingen, dass der Pflegebereich gegenwärtig enorm unter dem Fachkräftemangel leide und das bei wachsenden Ansprüchen, die sich aus einer älter werdenden Gesellschaft ergeben würden.
Zum Engagement im Pflegeberuf gehört für Ranft auch, sich für die eigenen Interessen zu engagieren. Nicht zuletzt für eine gute Bezahlung. Er verhehlt den Jugendlichen nicht: An dieser Stelle bleiben noch Wünsche offen. »Die Bedeutung der Pflege spiegelt sich nicht wider in den herrschenden Rahmenbedingungen.« Der Staatssekretär bestätigt seinen Vorredner: In der Tat sind weiterführende Wege nicht ausgeschlossen, ein Studium mit Bachelor- oder Masterabschluss vielleicht. »Zunächst aber machen Sie erst einmal Ihre grundständige Ausbildung.«
Nicht nur die Bezeichnung der Pflegeberufe hat sich in den vergangenen 30 Jahren geändert, so Brigitte Meier (SPD), die Beigeordnete für Ordnung, Soziales und Gesundheit in Potsdam. Der Kampf für die generalistische Ausbildung in der Pflege war ihr zufolge gleichzeitig der Weg des Pflegeberufs von seiner alleinigen Rolle als Anhängsel der Medizin hin zu Professionalität und Eigenständigkeit. Die Beigeordnete verrät auch, dass im Potsdamer Bergmann-Klinikum nun die Pflege im Vorstand gleichberechtigt vertreten sei – auf Augenhöhe mit Medizin und Verwaltung. Für Meier ein erster bedeutender Erfolg im Streben, den Pflegebereich »in seiner Eigenständigkeit zu stärken«. Vor 30 Jahren sei das noch undenkbar gewesen.
Eine solche Statusverbesserung der Pflege wünsche sie sich in Zukunft für alle Krankenhäuser. »Schwester Agnes entscheidet heute selbst, was bei Husten, Schnupfen und kleineren Verletzungen zu tun ist.« Vielleicht haben diesen Satz nicht alle vor ihr sitzenden jungen Menschen verstanden. Er setzt das Wissen voraus, dass »Schwester Agnes« eine Gemeindeschwester auf einem Moped war, die im DDR-Fernsehen Erfolge feierte und von der Schauspielerin Agnes Kraus verkörpert wurde. Nach der Wende wurde darüber debattiert, ob das Modell der Gemeindeschwester nicht fortgesetzt werden sollte als Antwort auf die Landflucht vieler Ärzte.
Vom Inhalt der vor ihnen liegenden Ausbildung bekommen die neuen Pflegeschüler erste Eindrücke in einem Kurzfilm vermittelt. Den hatten Schüler des nunmehr dritten Lehrjahres als Willkommensgruß erarbeitet. Das Schwitzen vor Bücherstapeln fehlt darin ebensowenig wie Blutdruckmessen, Babys aufnehmen, Verbände wechseln, desinfizieren und Spritzen setzen. Ebenfalls fehlten nicht Freimut und die nötige Offenheit: »Manchmal ist es ein bisschen eklig.«
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