- Berlin
- Verkehrswende
Einbahnstraße vor Gericht
Anwohner klagt gegen Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung im Bergmannkiez
Er sei nicht gegen Verkehrsberuhigung. Auch dass etwas zum Schutz von Fußgängern und Radfahrern unternommen werde, begrüße er. Ihn störe, dass eine Regelung getroffen worden sei, ohne sich mit den Folgen auseinanderzusetzen, sagt Stefan Zimmermann am Dienstagvormittag am Berliner Verwaltungsgericht, eine Regelung, über die nicht mehr ergebnisoffen nachgedacht werde.
Es geht um die Verkehrsberuhigung im Bergmannkiez, wo der Bezirk die gleichlautende Straße zur Fußgängerzone mit Radstreifen und Lieferzonen machte und auch in den umliegenden Straßen mit Einbahnstraßen den Verkehr beruhigen will. Zimmermann wohnt in einer dieser Straßen, der Nostitzstraße. Die Einbahnstraßenregelung empfindet er aber als das Gegenteil einer Verkehrsberuhigung.
Drei Dinge seien seitdem passiert, so der Kläger. Der Lieferverkehr fahre nicht mehr durch die asphaltierte Bergmannstraße, sondern über das Kopfsteinpflaster vor seinem Haus. Auch der normale Durchgangsverkehr weiche auf die Nostitzstraße aus, wo vormals hauptsächlich Anwohner gefahren seien, und damit zusammenhängend habe sich das Fahrverhalten geändert. Wer nur die Straße passieren wolle, fahre schneller als der, dessen Ziel in der Straße liege. »Die Lärmbelastung hat enorm zugenommen«, sagt Zimmermann, der eigenen Angaben zufolge seit 2006 in einer kleinen Wohnung mit Wohnzimmer zur Straße und kleinem Zimmer zum Innenhof wohnt.
Vor Gericht will er erreichen, dass die Einbahnstraßenregelung rückgängig gemacht wird. Es geht Zimmermann aber gleichzeitig um mehr. Er verweist auf die umfangreichen Studien, die seit Beginn der 2010er durchgeführt worden seien. Damals habe er die offene Frage danach begrüßt, wie die Bergmannstraße einmal aussehen solle. Aus »heiterem Himmel« sei dann aber ein Konzept umgesetzt worden, bei dem nicht ersichtlich gewesen sei, wie es sich aus den Untersuchungen und der Beteiligung zuvor ergeben habe. »Mich stört, wenn nicht so gut geplant wird und der Verkehr sich verlagert.«
Es ist nicht das erste Mal, dass die Bergmannstraße für Streit sorgt. Man erinnere sich an die Findlinge, die das Bezirksamt aufstellen ließ, um parkende Autos zu verhindern. Auch am Dienstag wird am Verwaltungsgericht über eine weitere Klage verhandelt, mit der sich ein Radfahrer dagegen wehren will, dass er nur mit maximal zehn Stundenkilometern durch die Ausgehmeile radeln darf.
Die Bergmannstraße ist eine Art Experimentierfeld für Maßnahmen der Verkehrsberuhigung. »Es wird viel über planerische Elemente und gute Ideen gesprochen. Unser Recht ist aber derzeit noch so, dass diese Maßnahmen der Gefahrenabwehr unterliegen«, erklärt die vorsitzende Richterin Heike Grigoleit während der Verhandlungen geduldig den anwesenden Besuchern. Dass solche Maßnahmen nicht einfach mit besseren Ideen zur Organisierung des Verkehrs begründet werden könnten und es stattdessen um Unfallschwerpunkte gehe, werde in der öffentlichen Diskussion oft nicht deutlich.
Diese Unfallhäufigkeit, bei der Radfahrer zu Schaden gekommen seien, habe es in der Bergmannstraße gegeben, argumentiert der Bezirk anhand der Statistik. Um dem zu begegnen, habe genügend Platz für Radfahrer geschaffen werden müssen. Weil die Möglichkeit, die Geschäfte und Gastronomie in der Bergmannstraße zu beliefern, weiterhin gegeben bleiben müsse, sei am Ende nur Platz für eine Fahrspur geblieben.
Verwaltungsrichterin Grigoleit erklärt: Wenn die Behörde eine Gefahr erkenne, müsse sie handeln. Wie sie der Gefahr gerecht werde, obliege aber ihr. »Als Kammer müssen wir uns zum Glück nicht die Frage stellen, ob ein modularer Fahrstreifen implementiert werden musste.« Die Behörde müsse dann auch nicht prognostizieren, auf welche Zahl die Unfälle durch die Maßnahme sinken werden. »Verkehrsmaßnahmen, die der Beruhigung dienen, sind eine Art Quadratur des Kreises, weil es sehr häufig so ist, dass an anderer Stelle neue Probleme auftreten«, sagt sie.
Für die Probleme in Zimmermanns Straße verspricht Felix Weisbrich, Leiter des Straßen- und Grünflächenamtes des Bezirks, am Dienstag Abhilfe. Auch »Berliner Kissen« genannte Straßenschwellen, die den Autoverkehr ausbremsen, sollen noch dieses Jahr in der Nostitzstraße installiert werden. Erst dieser Tage habe der Bezirk die finanzielle Zusicherung vom Senat erhalten. »Wir können nicht in allen Straßen gleichzeitig agieren. Das tut uns leid. Es liegt aber an den knappen Mitteln des Bezirks«, sagt Weisbrich.
Doch Zimmermann stellt die Zusicherung, die einklagbar wäre, nicht zufrieden. Er bleibt bei seiner Klage. Wirklich darüber nachgedacht, wie man die Verkehrsberuhigung begründe, habe der Bezirk erst, als der Anwalt schon beauftragt worden sei. Auch mit dem Gegensteuern in der Nostitzstraße habe er sich erst aufgrund der Klage beschäftigt, dieser Eindruck bleibe zumindest bestehen, so Zimmermann. »Ich möchte wissen, ob es in Ordnung geht, so ein großes Projekt, wie es hier geschehen ist, durchzusetzen«, sagt er am Ende der Verhandlung. Das klingt nach einem möglichen Gang zur nächsten Instanz.
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