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Trauerarbeit in elf Akten
George Michaels Traueralbum »Older« erscheint jetzt als remastertes Boxset mit zahlreichen Remixen und der Bonus-EP »Upper« (1997)
Man stelle sich vor, das Werk der Beatles würde auf ein einziges Lied reduziert, zum Beispiel auf den Schlager »Ob-La-Di, Ob-La-Da«. Ein absurder Gedanke. Doch Ähnliches ist George Michael widerfahren. Als er 2016 starb, ausgerechnet Weihnachten, erschöpften sich viele Nachrufe darin, ihn als Erschaffer von »Last Christmas« zu brandmarken. Auch seine Drogenprobleme und sein Sexleben wurden breitgetreten.
Worüber nicht geschrieben wurde: Dass er ein musikalisches Wunderkind war. Bereits als Jugendlicher schrieb er knallige Popsongs, die den Überschwang und Übermut der frühen 80er perfekt ausdrückten. »Fantastic« und »Make It Big« hießen die beiden ersten Wham!-Alben, und dass sie rund 40 Jahre später noch immer fantastisch und groß klingen, spricht für ihre Qualität.
Noch erstaunlicher aber ist es, dass seine Karriere erst nach dem Ende von Wham! 1986 richtig an Fahrt aufnahm. Wie den Beatles gelang es George Michael, sich musikalisch neu zu erfinden. Aus dem Teenager-Idol wurde in den 90er Jahren ein Songwriter, dessen Lieder auch Menschen jenseits der 30 ansprachen. Sein Album »Older«, das 1996 erschien, verwies bereits im Titel auf die reifere Zielgruppe. Das testosterongetriebene Pathos, das sein Solodebüt »Faith« bestimmt hatte (das freizügige Video zu »I want your sex« sorgte 1987 für einigen Wirbel), war einer Schwermut gewichen, die aus dem tiefsten Innern kam.
George Michael hatte Albtraumjahre hinter sich. 1993 war die Liebe seines Lebens, der Brasilianer Anselmo Feleppa, an Aids gestorben. Michael war am Boden zerstört. Die negative Energie versuchte er zu kanalisieren, indem er sich auf einen Rechtsstreit mit seiner Plattenfirma einließ: »Niemand kann gezwungen werden, in einem Zustand wirtschaftlicher Sklaverei zu leben.« Am Ende war Michael auch hier der Verlierer. Immerhin: Virgin Records kaufte ihn frei.
Auf »Older«, das jetzt als remastertes Boxset mit zahlreichen Remixen und der Bonus-EP »Upper« (1997) erscheint, verarbeitet er diese deprimierende Zeit. Und wie er das tut! George Michaels Soloalben leben von dem Wechsel zwischen langsamen und schnellen Stücken. Das macht es oft schwer, sie am Stück zu hören. Das abrupte Hin- und Herspringen zwischen Balladen und Beats kommt einer Achterbahnfahrt gleich. Doch hier, auf »Older«, funktioniert das musikalische Wechselbad. Denn Michael gelingt eine Songform, die eigentlich nicht möglich ist: der melancholische Dancetrack.
Tanzmusik lebt ja von ihrer Energie, dem Rhythmus, der nach vorne prescht. Doch ebendiese positive Bewegung konterkariert Michael mit Moll-Melodien und einer Stimme, die Kummer und Verzweiflung nicht zu verbergen vermag (von den Texten reden wir besser erst gar nicht). Selbst Tempostücke wie »Fastlove« oder »Star people« wirken wie schneller gespielte Balladen. So unglücklich wurde seit »Careless whisper« (»guilty feet have got no rhythm«) nicht mehr getanzt.
Die echten Balladen legen dann noch eine Schippe drauf. »Older«, der Titelsong, »To be forgiven« und »You have been loved« sollten zum musikalischen Repertoire jeder Trauertherapie gehören. Und bei »Jesus to a child« muss Ersterer seine Finger mit im Spiel gehabt haben. Hier passen mal die gern benutzten Klangbeschreibungen »himmlisch« und »göttlich« (und nie wieder hat George Michael so engelsgleich gesungen). So betrieb er mit »Older« seine innere Läuterung – eine Katharsis in elf Liedern. Ein Jahr später starb seine geliebte Mutter, und die Seelenpein begann von Neuem. George Michael sollte die Trauer für den Rest seines Lebens nicht mehr loswerden.
George Michael: »Older«, Boxset (Sony)
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