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Umstrittenes Geschenk
Kirche baut Schröder-Fenster ein, doch kritisiert Ex-Kanzler
Ein halbes Jahrtausend war 2017 seit der Reformation in Deutschland vergangen. Anlass, in »seinem« Hannover dieses Jubiläum besonders zu würdigen, dachte sich seinerzeit der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und entschloss sich, der evangelisch-lutherischen Marktkirche in Hannover, gewissermaßen dem protestantischen »Dom« in Niedersachsens Hauptstadt, ein Geschenk zu machen. Ein »Reformationsfenster« sollte es sein, gestaltet vom Künstler Markus Lüpertz. Rund 135 000 Euro warb der Politiker dafür ein, vorwiegend bei Leuten, die Schröder mit Vorträgen beauftragt hatten und deren Honorare er für das Fenster-Geschenk verwenden wollte.
Der Kirchenvorstand beschloss, das Buntglasfenster im Südschiff des Gotteshauses einzubauen. Doch die Gabe sorgte auch für Ärger, sogar für juristische Auseinandersetzungen. Abgesehen davon gab es herbe Kritik aus den Reihen von Kirchgängern, denen die Motive des etwa 13 Meter hohen Kunstwerks nicht zusagten. Es zeigt eine weiße Gestalt, die als Reformator Martin Luther, aber auch als segnender Christus oder Mensch im Taufkleid interpretiert werden kann. Schwarze dicke Fliegen tummeln sich im Fensterbild, Zeichen für das Böse und damit wohl auch für den Teufel, der Luther der Legende nach einst erschienen war.
Georg Bissen, Stiefsohn des nach dem Krieg für den Wiederaufbau des schwer geschädigten Marktkirchen-Innenraums verantwortlichen Architekten Dieter Oesterlen, erhob Klage gegen den Fenstereinbau, der das urheberrechtliche Veränderungsverbot verletze. Das Kunstwerk entspreche nicht der von schlichter Gestaltung geprägten Konzeption seines Stiefvaters für das Gotteshaus. Doch das Landgericht wies die Klage ab. Die Sache ging zum Oberlandesgericht nach Celle, dort endete der Rechtsstreit mit einem Vergleich: Die Kirche darf das Fenster einbauen. Sie verpflichtet sich aber, dauerhaft mit einem Schild auf das ursprüngliche Konzept Oesterlens und den nachträglichen Einbau hinzuweisen.
Doch dazu kam es zunächst nicht. Die Marktkirche stoppte den Einbau im März 2022 mit der Begründung, der Ex-Kanzler habe sich nicht ausreichend vom russischen Angriffskrieg und von Präsident Putin distanziert. »Es ist uns wichtig, Fenster und den Namen Schröder voneinander zu trennen«, sagte Stadtsuperintendent Rainer Müller-Brandes. Das von Schröder zusammengetragene Geld soll ukrainischen Geflüchteten zugute kommen, beschlossen die Verantwortlichen der Kirche. Nun also soll das Fenster doch eingebaut werden – aber nicht mit dem Geld des Ex-Kanzlers. Die Kirche muss es selbst bezahlen. Es müsse erneut eingeworben werden, sagt Marktkirchen-Pastor Marc Blessing, und: »Wir haben dafür bereits einige größere Zusagen.« Am nächsten Reformationstag, dem 31. Oktober 2023, wird das bis dahin eingebaute »Schröder-Fenster«, das kein Schröder-Fenster sein soll, eingeweiht.
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