Im Klammergriff der Großmächte

Jörg Kronauer über das deutsche Verhältnis zur Volksrepublik China

  • Jörg Kronauer
  • Lesedauer: 3 Min.

Noch ist sie in Arbeit, fertiggestellt wird sie vermutlich frühestens im ersten Quartal 2023; doch schon jetzt überschattet der Streit um sie sogar die offizielle Berliner Regierungspolitik: die neue Chinastrategie der Ampelkoalition. Die Reise nach Peking, die Bundeskanzler Olaf Scholz kürzlich absolviert hat, hat ebenso mit ihr zu tun wie die Kritik an dem Besuch. Dasselbe gilt für Scholz’ jüngsten Aufenthalt in Vietnam und in Singapur. Dass die neue Strategie so viel Streit verursacht, liegt daran, dass sie eine Menge äußerer sowie innerer Interessen bedienen muss, die sich zuweilen diametral widersprechen.

Für die Vereinigten Staaten, Deutschlands wichtigsten Verbündeten, ist China, das sich anschickt, zur führenden Weltmacht zu werden, längst zu dem Rivalen Nummer eins geworden. US-Präsident Joe Biden hat kürzlich erklärt, der Machtkampf zwischen den beiden Staaten stehe am Beginn seines »entscheidenden Jahrzehnts«. Es liegt auf der Hand, dass in dieser Situation die USA alles daran setzen, ihre Bündnispartner hinter sich zu scharen – und das gilt selbstverständlich auch für die Bundesrepublik. Insofern versteht es sich von selbst, dass Washington keinerlei Interesse an einer engen deutsch-chinesischen Zusammenarbeit hat, dass es mit Macht intervenierte, als das Kanzleramt der chinesischen Reederei Cosco einen 35-Prozent-Einstieg beim Hamburger Containerterminal Tollerort gestatten wollte, und dass es nicht zuletzt verärgert auf die Chinareise von Scholz reagierte. Dass vor allem die Grünen gegen die Reise polemisierten, liegt auch daran, dass sie in der Ampelkoalition die wohl am deutlichsten transatlantisch orientierte Partei sind.

Das Problem dabei ist: China ist für zentrale Branchen der deutschen Industrie mittlerweile unersetzlich geworden. Für die deutsche Kfz-Branche etwa ist die Volksrepublik längst nicht mehr nur der größte Absatzmarkt, sondern auch der wichtigste Standort für Forschung und Entwicklung bei E-Mobilität und autonomem Fahren – in denjenigen Bereichen also, in denen die Bundesrepublik in der globalen Konkurrenz weit zurückgefallen ist. Die deutschen Autohersteller brauchen ihre Chinapräsenz, um auf dem Weltmarkt vorn zu bleiben. Ähnlich verhält es sich in Teilen des Maschinen- und Anlagenbaus oder in der Chemie. Kein deutscher Kanzler kann zentrale Interessen der Kernbranchen der deutschen Industrie ignorieren. Scholz musste sich, begleitet etwa von den Chefs von VW, BASF und Bayer, auf den Weg nach Peking machen – auch wenn das dem transatlantischen Interesse, China nicht durch Kooperation zu stärken, zuwiderlief.

Wie entkommt man den Widersprüchen? Nun, vielleicht, indem man versucht, die Industrie Schritt für Schritt von ihrer Fixierung auf die gewaltige Wirtschaftsmacht China zu lösen. Das bietet sich auch deshalb an, weil Konzerne aus der Volksrepublik immer erfolgreicher gegen Unternehmen aus Deutschland konkurrieren. In der Solarzellenproduktion haben sie die einst starke deutsche Branche längst degradiert; bei Elektroautos könnte sich eine ähnliche Entwicklung vollziehen. Die Bundesregierung setzt deshalb darauf, die deutsche Industrie zu anderen Standorten im wachstumsstarken Asien umzuleiten, etwa nach Vietnam, vielleicht auch nach Singapur – die beiden Länder besuchte der Bundeskanzler am Sonntag und am Montag. Es geht darum, der Abhängigkeit von China zu entkommen.

Wie packt man so gegenteilige Interessen in ein halbwegs einheitliches Strategiepapier? Das ist die Frage, mit der sich die Bundesregierung zur Zeit herumschlägt, wobei das Auswärtige Amt stärker auf die machtpolitische Konfrontation, das Kanzleramt mehr auf die Interessen der Wirtschaft Rücksicht nimmt. Bislang wird in Berlin zur Beschreibung Chinas die Trias »Partner, Wettbewerber, systemischer Rivale« genutzt. Sie dürfte im Kern wohl erhalten bleiben.

Jörg Kronauer ist Redaktionsmitglied bei www.german.foreign-policy.com.

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