Peanuts für die Energiewende

Der neue EU-Haushalt wird den steigenden Anforderungen nicht gerecht

  • Fabian Lambeck, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.
EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn ist »dankbar«, dass der EU-Haushalt überhaupt verabschiedet werden konnte.
EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn ist »dankbar«, dass der EU-Haushalt überhaupt verabschiedet werden konnte.

In buchstäblich letzter Minute einigten sich die Verhandlungsführer von EU-Parlament und Rat am Montagabend auf den EU-Haushalt für 2023. Bis kurz vor Ablauf der Vermittlungsfrist, die am Montag um Mitternacht endete, rangen beide Seiten um das Budget. Im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen hätte die Kommission einen neuen Entwurf vorlegen müssen. Wohl auch deshalb zeigte sich EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn später »dankbar, dass wir das rechtzeitig erreicht haben«.

Die nun gefundene Einigung sieht vor, dass 2023 mehr als 186 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Das Parlament hatte ursprünglich 187,3 Milliarden Euro gefordert. Die Mitgliedsstaaten wollten »nur« 183,95 Milliarden geben. Damit lagen sie unter dem Vorschlag von Kommissar Hahn, der 185,6 Milliarden Euro bereitstellen wollte. Parlament und Rat trafen sich also in der Mitte und damit eine zusätzliche Milliarde Euro zu dem, was die Kommission ursprünglich vorgeschlagen hatte. Die Verhandlungen waren am 11. November abgebrochen worden, unter anderem weil es Streit gab über rund 170 neue Stellen, die das Parlament gefordert hatte. Die EU-Staaten stellten sich quer. Letztendlich einigte man sich auf 52 zusätzliche Stellen im EU-Parlament für den Bereich Cybersicherheit. »Dass der Haushaltsstreit um Parlamentsstellen einvernehmlich aufgelöst werden konnte, ist erfreulich«, sagte der Grünen-Abgeordnete Rasmus Andresen. Die Vereinbarung muss zwar noch formell von Parlament und Ministerrat gebilligt werden, jedoch gilt das als reine Formsache.

Parlamentspräsidentin Roberta Metsola begrüßte den »Deal« und twitterte ganz aufgeregt: »Nun ist es an der Zeit, unsere Wirtschaft zu stärken und vereint zu bleiben.« Auch Nicolae Ştefănuță, Hauptberichterstatter des Parlaments für den EU-Haushalt, reagierte euphorisch: »Über eine Milliarde Euro mehr, um die Energiepreise zu senken, um die Auswirkungen des Krieges abzufedern und unseren Verbündeten im Osten und Süden zu helfen, um bei der Verteidigung auf eigenen Füßen zu stehen – dafür haben wir gekämpft und das haben wir bekommen.«

Deutlich zurückhaltender war da der tschechische Finanzminister Jiří Georgiev, der die Verhandlungen auf Seiten des Rates führte: Georgiev lobte den »realistischen Ansatz, der die aktuelle Wirtschaftslage, die Interessen der Steuerzahler und die Notwendigkeit berücksichtigt, für neue Herausforderungen, die im Jahr 2023 entstehen könnten, vorzusorgen«.

Tatsächlich gibt es lediglich eine Milliarde Euro zusätzlich. Im Vergleich zum Vorjahr beträgt das Haushaltsplus ganze 1,1 Prozent. Angesichts der gewaltigen Aufgaben erscheint das nun beschlossene Plus lächerlich gering. So gibt es mehr Mittel für Investitionen in grenzübergreifende Transport- und Energieinfrastruktur. Auch das Studienaustauschprogramm Erasmus erhält 120 Millionen zusätzlich und soll jetzt Studenten aus der Ukraine offen stehen.

Die zusätzliche Milliarde soll also reichen, um der Ukraine zu helfen, die Energiekrise zu bekämpfen und die eigene Verteidigung zu stärken. Man muss kein Ökonom sein, um zu sehen, dass diese Milchmädchenrechnung nicht aufgehen wird. Angesichts der 200 Milliarden Euro, die allein Deutschland für die Bewältigung der Energiekrise bereitstellt, wirken die Millionen der EU wie Peanuts. Die frierenden bulgarischen und rumänischen Rentner wird das Geld wohl kaum erreichen. Die größten Posten im Haushalt sind die Programme für regionale Entwicklung mit fast 63 Milliarden Euro sowie die Agrarpolitik, für die mehr als 53 Milliarden eingeplant sind.

Tatsächlich wird der Haushalt nicht in jedem Jahr gänzlich neu verhandelt. Das Budget bewegt sich im Korsett des mehrjährigen Finanzrahmens, der die Obergrenze festlegt. Der Haushalt selbst besteht aus einem komplizierten Geflecht aus Einzelplänen für jedes einzelne EU-Organ und die unterschiedlichsten Aufgaben, wie die Förderung des ländlichen Raums oder das Budget für die Grenzschutzagentur Frontex. Der aktuelle Finanzrahmen gilt für die Jahre 2021 bis 2027 und beträgt 1,8 Milliarden Euro, wenn man die 750 Milliarden Euro aus dem Wiederaufbaufonds zur Bewältigung der Corona-Folgen miteinbezieht.

Doch wo kommt das Geld her? Die Union enthält Mitgliedsbeiträge der Einzelstaaten, die sich nach dem Bruttonational-Einkommen (BNE) berechnen. Dabei gilt aber eine Obergrenze, so dürfen die Beiträge nicht mehr als 1,4 Prozent des jeweiligen BNE betragen. Zudem erhält die EU Gelder aus Zöllen, der Mehrwertsteuer und einer Abgabe auf Plastik, das nicht recycelt werden kann.

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