»Viele Bescheide sind einfach falsch«

Fachleute äußern sich zur Neuregelung des Betreuungsrechts in Brandenburg

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn zum 1. Januar 2023 das »Gesetz zur Neuregelung des Betreuungsausführungsrechts« in Kraft tritt, dann geschieht das vor dem Hintergrund, dass die Zahl der zu betreuenden Personen (derzeit rund 50 0000 in Brandenburg) künftig ansteigen wird, während die Gruppe der haupt- und ehrenamtlichen Betreuer mutmaßlich weiter sinkt.

»Spiegelbild einer Gesellschaft ist immer, wie sie mit ihren Schwächsten umgeht«, sagte Monika Lenz von der Lebenshilfe Brandenburg. Betreut werden müssen Menschen, die geistig behindert sind, dement oder suchtkrank. Menschen, die unfähig sind, für sich rechtlich verbindliche Entscheidungen zu fällen. Für solche Menschen tritt ein berufener Betreuer ein, häufig ein Familienangehöriger, der die Entscheidungen in rechtlicher oder finanzieller Hinsicht für ihn trifft, mit den Ärzten redet oder für die Unterbringung sorgt.

Es gibt auch hauptamtliche Betreuer sowie ehrenamtliche, die von einschlägigen Vereinen angeleitet werden. Diese Vereine nun stemmen die Hauptlast der Betreuung in Brandenburg. Sie sollen laut Gesetzentwurf als »tragende Säule des Betreuungswesens« einen Anspruch auf bedarfsgerechte finanzielle Ausstattung erhalten.

Der Geschäftsführer des Betreuungsvereins Fläming e. V., Andreas Herrmann, informierte, dass manche Landkreise sich an der Finanzierung der Betreuungsvereine beteiligen, andere gar nicht. »Wir sind nicht in der Lage, tarifliche Gehälter zu zahlen«, bedauerte Herrmann. Die Folge: Es wird immer schwieriger, geeignetes Personal zu finden. Der vorgesehene Stundensatz von knapp 59 Euro sei zu wenig. Die einzige Möglichkeit, die wirtschaftliche Bilanz zu verbessern, sei die Erhöhung der Fallzahl je Betreuer. Derzeit liege sie bei 50 bis 55 zu betreuenden Personen, bei 65 wäre aber die Grenze des Vertretbaren erreicht. Zusätzliche Aufgaben, die das neue Gesetz den Betreuern vorschreibe, »sind da noch nicht einmal drin«, so Herrmann. Wenn künftig je 120 000 Einwohner eine finanzierte Betreuer-Stelle zugestanden werde, »dann frage ich: Wie kommt man auf diesen Schlüssel?«

Für den Fall, dass ein Betreuungsverein aufgibt, fällt die zu betreuende Person automatisch in die Zuständigkeit eines vom jeweiligen Landkreis eingesetzten behördlichen Betreuers. Laut Alexander von Hohenthal von der Landesarbeitsgemeinschaft Angehörige Psychiatrie, sind diese Hauptamtlichen für 200 und mehr Menschen zuständig. Das heißt, was als Betreuung gedacht sei, laufe auf ein bloßes Verwalten hinaus. Von Hohenthal zufolge müsse das Gesetz festlegen, dass für jeden Betreuer eine Zahl von 50 bis 60 betreuten Personen nicht überschritten werden darf. Dies entspreche auch dem Bundesdurchschnitt. Alles darüber hinaus sei nur noch unter dem Begriff »Gewinnmaximierung« zu fassen.

Wenn es nur eine Fachkraft je 120 000 Einwohner geben solle, dann »besteht die Gefahr, dass nicht alle ehrenamtlichen Betreuer ausreichend unterstützt werden können«, fügte Monika Lenz hinzu. Sie selbst betreut ihre 52-jährige, schwer geistig behinderte Tochter und legt Wert darauf, dass Weiterbildung unabdingbar ist. Angesichts des Umfangs heutiger Vorschriften sei der einzelne ehrenamtliche Betreuer kaum noch in der Lage, sich das selbst zu erarbeiten. »Was da auf uns zukommt, ist gegenüber den Betreuten nicht vertretbar.«

Ein vom Kreis bestimmter »Berufsbetreuer« habe im Monat ganze zwei Stunden für einen Betreuungsfall zur Verfügung, aber was sei alles zu klären! Lenz berichtete: »Ich muss als Betreuer sämtliche Anträge stellen, mit sämtlichen Ärzten verhandeln. Ich muss organisieren, dass seine Wohnung sauber gemacht, dass eingekauft wird und dass er ordentlich versorgt ist.« Lenz erklärte, dass es »viel Streitereien mit Sozialämtern« gebe. »Viele Bescheide sind einfach falsch.« Das aber könne nur ein gut geschulter Betreuer erkennen, der auch die Zeit dafür habe. »Man muss den Mut dazu haben, Widerspruch einzulegen.«

Auf die besondere Situation psychisch Kranker machte Alexander von Hohenthal aufmerksam. Neben den Rückenbeschwerden seien psychische Leiden inzwischen am verbreitetsten. Es handele sich um eine »gesellschaftlich relevante Gruppe«. Zumeist würden sie von Angehörigen betreut. »Sie zahlen, wenn niemand mehr zahlt. Sie leisten, wenn niemand mehr leistet.« Wenn diese Menschen auch weiterhin nicht entschädigt werden, »dann finden wir das falsch«. Er regte eine Ehrenamtspauschale von monatlich 60 Euro an.

In den großen Städten mit ihren günstigen Verkehrsverbindungen könne eine Fachkraft für 100 000 Einwohner ausreichend sein, argumentierte Joachim Kay von der Liga der freien Wohlfahrtspflege. Auf dem dünn besiedelten Land wären 40 000 Einwohner die Obergrenze. Das große Manko: »Wir haben keinen Aufwuchs an neuen ehrenamtlichen Betreuern. Und die vorhandenen werden älter. Auch sie versterben.«

Keine Behörde habe zu viel Personal oder zu viel Geld, erinnerte Antje Herold vom Landkreistag. Sie empfahl, nicht beim Landkreis anzuklopfen, sondern sich die notwendigen Mittel gerichtlich zu erstreiten. Der Landtag hat sich vorgenommen, bis Ende November das neue Betreuungsgesetz zu verabschieden.

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