Kein Blick ins Schlafzimmer

Auch Mieterinnen und Mieter von Privatwohnungen sollen ihren Teil zum großen Energiesparen beitragen

  • Martin Höfig
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Sommer immer mehr schwitzen und im Winter frieren – das soll die neue Normalität werden. Um den Gas- und Energieverbrauch im Land zu senken, ließ die Bundesregierung am Donnerstag den ersten Teil der neuen Energieeinsparverordnung in Kraft treten. In öffentlichen Gebäuden dürfen Büroräume nun nur noch bis zu einer Raumtemperatur von 19 Grad geheizt werden. Bislang galt eine empfohlene Mindesttemperatur von 20 Grad. Dort, wo schwere körperliche Arbeit geleistet wird, sollen die Temperaturen künftig noch niedriger liegen.

Große Hallen, Foyers und Flure sollen nach Möglichkeit gar nicht mehr beheizt werden. Ausgenommen von den Regelungen sind Krankenhäuser, Pflegeheime, Behinderteneinrichtungen, Schulen und Kitas – also Einrichtungen, in denen höhere Lufttemperaturen für die »Gesundheit der sich dort aufhaltenden Personen« wichtig sind, wie es aus dem Wirtschaftsministerium heißt.

Doch auch Mieterinnen und Mieter sind aufgerufen, ihren Teil zum großangelegten Energiesparen beizutragen. Entsprechende Klauseln im Mietvertrag, wonach eine Mindesttemperatur nach unten einzuhalten ist, gelten nun nicht mehr. Die Menschen können ihre Wohnungen im kommenden Winter also auch fast ganz kalt lassen, wenn sie das wollen. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte, man wolle nicht die Schlafzimmertemperaturen messen. Doch natürlich sollten Mieterinnen und Mieter darauf achten, angemessen zu heizen und zu lüften, damit es keine Schäden, wie zum Beispiel Schimmelbildung, in der Wohnung gibt. »Andernfalls könnten die Mieter deswegen haftbar gemacht werden«, sagt Jutta Hartmann vom Deutschen Mieterbund (DMB).

»Wir haben uns ein Gesetz gewünscht, statt einer mit heißer Nadel gestrickten Verordnung«, sagt Sebastian Bartels, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. Für ihn ist die einfache Aussetzung der Mindesttemperatur in Wohnungen für sechs Monate ohne weiterführende Informationen »ziemlich unbefriedigend«. Immerhin sind Besitzer von Wohngebäuden und Energieversorger nun verpflichtet, ihre Kunden oder Mieter über Energieverbrauch und Kosten sowie mögliche Einsparpotenziale zu informieren. Bartels ist allerdings skeptisch, ob und wie das tatsächlich geschieht. »Man müsste nun zum Beispiel Hausmeister und Schornsteinfeger für solche Energieberatungen weiterbilden; oder auch Studierende der Ingenieurwissenschaften aus den Unis als Berater in die Haushalte schicken«, regt er an. In diesen Zeiten sei Kreativität gefragt, betont er. Doch allein schon, dass so viele Hausmeister mittlerweile outgesourct sind und keinen festen Kontakt mehr zu den Mieterinnen und Mietern haben, mache die Umsetzung umso schwieriger.

Vermieter seien nach der Rechtsprechung nun jedenfalls »verpflichtet, dafür zu sorgen, dass tagsüber in den Wohnräumen 20 bis 22 Grad Celsius Raumtemperatur erreicht werden können. Und nachts ist eine Nachtabsenkung auf 17 bis 18 Grad Celsius zulässig«, erläutert Jutta Hartmann vom DMB. Alles, was unter diesen Werten läge, wäre ein Mangel der Mietwohnung. »Mieter haben einen Anspruch darauf, dass der Vermieter die Heizungsanlage so einstellt, dass diese Mindesttemperaturen erreicht werden. Solange dies nicht der Fall ist, können sie beispielsweise die Miete mindern«, so Hartmann weiter.

Eigenheimbesitzer und Schrebergartenpächter mit eigenem Swimmingpool müssen zukünftig ins kalte Wasser springen, egal ob drinnen oder draußen. Private Pools dürfen nun nicht mehr mit Gas und Strom geheizt werden, ausgenommen sind Reha-Zentren, Freizeiteinrichtungen und Hotels. In öffentlichen Gebäuden sollen Durchlauferhitzer oder Warmwasserspeicher ausgeschaltet werden, wenn sie überwiegend zum Händewaschen vorgesehen sind. Ausnahmen gibt es auch hier – etwa für medizinische Einrichtungen, Schulen und Kitas.

Laut Bundeswirtschaftsminister Habeck sollten sich die Energiesparregeln als »selbstverständlich« erweisen. Er gehe davon aus, dass mit dem Maßnahmenpaket der Gasverbrauch »ungefähr im Umfang von zwei, zweieinhalb Prozent« gesenkt werde, sagte Habeck am Donnerstag. Mit den Verordnungen könne ein »kleiner, aber unverzichtbarer Beitrag erreicht« werden. Vor dem Hintergrund der Gasknappheit durch fehlende russische Gaslieferungen wollen die EU-Staaten ihren Gasverbrauch insgesamt um 15 Prozent senken. In Deutschland soll der Verbrauch um 20 Prozent gesenkt werden.

Nach dem ersten Teil der Verordnungen soll ein zweites Regelwerk im Oktober in Kraft treten und dann für zwei Jahre gelten. Laut Sebastian Bartels gab es bislang noch keinen Ansturm auf die Beratungsangebote der Mietervereine. »Die Menschen sind sich bis heute noch nicht sicher, was da auf sie zukommt«, sagt er. Doch spätestens mit den Abrechnungen im kommenden Jahr rechnet er mit einem extrem hohen Beratungsbedarf. »Dann haben die Menschen schwarz auf weiß, wie teuer der Energieverbrauch mittlerweile geworden ist«, so Bartels.

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