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»Buhstürme gibt es nicht«

Übermorgen sind die diesjährigen Salzburger Festspiele um. Der Kurator Nikolaus Kohlberger berichtet, wie er und andere Akteure der Salzburger Kulturszene das Spektakel wahrnehmen

  • Vincent Sauer
  • Lesedauer: 4 Min.
Salzburg bei Nacht: Noch bevölkern tausende Festpielbesucherinnen und -besucher die Stadt.
Salzburg bei Nacht: Noch bevölkern tausende Festpielbesucherinnen und -besucher die Stadt.

Die »weltberühmte Festspielstadt« Salzburg präsentiert sich ihren Besuchern als begehbare Postkarte. Man schlendert an der Salzach entlang, verspeist einen Marillenknödel und schlürft am Verlängerten in einem Kaffeehaus, besteigt vielleicht den Mönchsberg. In Mozarts und Red-Bull-Milliardär Dietrich Mateschitz Heimat genießt der Tourist reinstes Old Europe. Mit ausreichend Finanzkraft reicht es vielleicht auch für einen Besuch bei den Salzburger Festspielen. Allmählich neigen die sich allerdings dem Ende zu. Wie kann man sich eigentlich das kulturelle Leben Salzburgs in den zehn Monaten vorstellen, in denen keine Festspiele stattfinden?

Interview

Nikolaus Kohlberger, 1987 geboren, war kindlicher Statist bei den Salzburger Festspielen. Nachdem er Kunstgeschichte und Philosophie und Wien und Berlin studierte, arbeitete er ab 2018 für das Kulturmagistrat Salzburg und betreute dort die städtischen Galerien. Momentan ist er für die Galerie Fünfzigzwanzig tätig.

Während der langen Nebensaison schließen die Kaffeehäuser wieder zeitig und das örtliche Dreispartenhaus übernimmt den Opernbetrieb, es gibt keine internationale Berichterstattung mehr, die Kleinstadt (ca. 150 000 Einwohner*innen) wird wieder sich selbst überlassen. Die Bühnen der Festspielhäuser bieten dann ein gefälligeres Programm bis hin zu Pop und Schlager. Mit den politischen Ehrengästen der Festspiele und deren elektromobiler Fahrbereitschaft verschwinden auch die Summen aus der selbstbetitelten Mozartstadt. Durch die alljährliche sommerliche Aufladung mit Besucher*innen aus der ganzen Welt bleibt aber auch Tolles an der lokalen Szene haften. Für eine Provinzstadt passiert doch auch unterjährig viel: Das Ensemble Bachwerkvokal, die Salzburg Club Commission [eine Interessensvertretung für DJs, Kollektive und Veranstalter*innen der Clubszene, Anm. der Red.] sowie die Galerien Fotohof und Fünfzigzwanzig sind zum Beispiel vier kleine super Einrichtungen.

Können Sie uns ein Stimmungsbild geben, wie man außerhalb der Hautevolee zu dem Musiktheaterreigen steht?

Der größte Teil der Festspiele spielt sich in der Altstadt ab, die nach einer Ruhephase aufgrund der Pandemie nun wieder touristisch voll ausgelastet ist. Das Festival wird von vielen Salzburger*innen als Luxusenklave wahrgenommen. Diese soll sich offenbar weiter ausdehnen: Die neue Präsidentin Kristina Hammer sprach zu Beginn ihrer Amtszeit auch vom anstehenden Ausbau dieser »Premiummarke«. Es fehlt den Festspielen meiner Ansicht nach an einer neuen Zwecksetzung abseits der Rentabilität, auch müsste man sich mit den im Grunde provinziellen Voraussetzungen hier auseinandersetzen. Zudem leuchtet mir und vielen anderen nicht ein, wieso die tolle Bühne am Domplatz an den ca. 25 spielfreien Tagen im Sommer nicht von lokalen Kulturinitiativen genutzt werden kann. Die Osterfestspiele kündigen allerdings für nächstes Jahr das Konzert »Westbam meets Wagner« mit dem Gewandhausorchester an, der Techno-DJ werde elektronische Musik mit Wagners Kompositionen vermischen, liest man. Es wäre schön, wenn diese musikalische Öffnung der Spielstätte Nachwirkungen hinterlässt.

Wie würden Sie die Festspiele dieses Jahr zusammenfassen? Können Sie über die letzten Jahre Tendenzen und Entwicklungen sehen, was ästhetische und inhaltliche Aspekte der Inszenierungen betrifft?

Die neuerliche Zusammenarbeit des Regisseurs Romeo Castellucci mit dem Dirigenten Teodor Currentzis an dem zweiteiligen Abend mit Béla Bartóks »Herzog Blaubarts Burg« und Carl Orffs ​​»De temporum fine comoedia« weist, nach deren grandiosem »Don Giovanni« aus dem letzten Jahr, bestimmt einen Weg für künftige Inszenierungen. Auch toll war Giacomo Puccinis Opernzyklus »Il Trittico«, von Christof Loy inszeniert und Franz Welser-Möst dirigiert. Die Aufführung entfaltete über drei Einakter mit kargem Bühnenbild eine unglaubliche Sogwirkung, das Ensemble bewegte mit seiner Darstellung familiärer Konfliktbeziehungen und überkochender Emotionen. Insgesamt bietet das Programm der Festspiele in jedem Jahr viele sehenswerte Inszenierungen; durch die vielen Kooperationen mit Opern- und Schauspielhäusern entsteht jedes Mal ein Potpourri, das sich aus den verschiedenen Institutionen und Akteuren der europäischen Theaterlandschaft zusammensetzt. Man muss jedoch sagen, dass manche Inszenierungen auch allzu gebügelt daherkommen.

Mit welchen Fragen müssen sich die Salzburger Festspiele in den nächsten Jahren auseinandersetzen?

Die Sponsoringfrage wird in den nächsten Jahren wohl ein großes Thema sein, die finanzielle Ausstattung der Spiele ist davon abhängig. Auch über die Zugänglichkeit und demografische Durchmischung der Veranstaltung sollte meiner Ansicht nach dringend nachgedacht werden. Vielleicht könnte die Idee des »Lumbung« von der Documenta in Kassel [ein Konzept, das auf Kollektivität in der Kunstproduktion und -rezeption setzt, Anm. der Red.] auch nach Salzburg übertragen werden. Dann könnten die Festspiele vielleicht auch gemeinsam mit der Stadt Übernachtungsmöglichkeiten für ein nicht ganz so betuchtes Publikum abseits des horrenden Festspielzeitaufschlages der Hotellerie anbieten.

Gerade ist ja der Opernregisseur Valentin Schwarz für seine Inszenierung von Richard Wagners »Der Ring des Nibelungen« in Bayreuth von der Kritik verrissen und vom Publikum ausgebuht worden. Wie sieht es in Salzburg aus – stellt das hiesige Publikum auch gewisse Ansprüche an die Kunst?

Bisher konnte man davon nicht viel merken. Die meisten Festspielbesucher*innen wollen, so scheint mir, einfach für ein paar Tage ein schönes Ferienlager in der historischen Kulisse aufschlagen, sich es mit den Aufführungen und Restaurantbesuchen gutgehen lassen. Buhstürme aus den Logen heraus gibt es bei dieser Übersättigung grundsätzlich nicht.

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