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- Bauschäden
Die Last der Schönheit
Falsch gebaute Fuge soll Grund für bröckelnden Sandstein am Potsdamer Landtagsschloss sein
Wäre der Potsdamer Landtag so alt, wie er von Weitem erscheint, dann könnte dies die Bauabsperrungen rund um das Gebäude erklären. So aber sind sie natürlich auch erklärbar, denn von der Fassade des 2014 eingeweihten Neubaus haben sich im Juni vor einem Jahr Sandsteinbrocken gelöst und sind auf den Bürgersteig gekracht. Seither wurde ein Sicherheitsbereich abgetrennt – um das Gebäude herum und im Innenhof ebenfalls. Zunächst mittels provisorischer Absperrbänder, die inzwischen aber durch solide verschiebbare Zaunfelder ersetzt worden sind. »Niemand findet sie schön«, sagt Landtagssprecher Gerold Büchner.
Das Gutachten, das die Ursache für diese Mängel an dem Neubau aufdecken sollte, ist nun fertiggestellt und hat den Landtag erreicht, bestätigt der Sprecher. Nach Einschätzung des öffentlich bestellten Gutachters erklären sich die Abbrüche insbesondere dadurch, dass eine statisch erforderliche Fuge im Bereich des Gesimses bereits beim Versetzen des Sandsteins nicht in ausreichender Größe beziehungsweise teilweise gar nicht vorhanden war. Geringe Abweichungen von den geplanten Abmessungen oder bei der Ebenheit der Einbauteile hätten so zum Schließen der Fuge geführt, was die Sandsteinabbrüche ausgelöst habe.
Der Gutachter schlägt vor, die betreffende Fuge zu sanieren. Mit der Sanierung soll am kommenden Montag begonnen werden. Die Arbeiten werden voraussichtlich im September beendet sein. Die Schutzabsperrungen vor der Landtagsfassade bleiben in dieser Zeit aus Sicherheitsgründen bestehen.
Laut Sprecher wurden nach dem Brocken-Absturz Hebebühnen eingesetzt, die den gesamten Sims mehrfach abgefahren sind, um eventuelle Schadstellen zu identifizieren. Dabei waren an einigen Stellen der Ost-, West- und Südfassade sowie im Innenhof in 14 Metern Höhe Risse und Abbrüche am Sandstein des Gesimses entdeckt worden.
Zu den Besonderheiten des Hauses zählt, dass seine klassizistische Fassade im Grunde gar nicht zum Gebäude selbst gehört, sondern in einem Abstand von einigen Zentimetern davorgesetzt wurde. Das ist der Baugeschichte geschuldet. Der brandenburgische Landtag hatte den Bau eines modernen Bürogebäudes beschlossen, dessen Grundriss und Höhe sich am Vorgänger, dem barocken Potsdamer Stadtschloss, orientieren sollte.
Software-Milliardär Hasso Plattner hatte erneut sein Herz für Potsdam entdeckt, die Spendierhosen angezogen und 20 Millionen dafür geboten, die barocke Fassade davorzusetzen. Und noch einmal einige Millionen, um das Kupferdach daraufzusetzen. Das Land hat beide Schenkungen akzeptiert, und so kam Potsdam zu diesem eigenwilligen Neubau, der in seinem Inneren ein modernes Verwaltungsgebäude ist. An dessen Seite zur Innenstadt hin steht – in schönen, geschwungenen barocken Lettern – auf Französisch: »Das ist kein Schloss.«
Die Frage ist jetzt: Was hat zum Stein-Absturz geführt? Ist er begrenzt, oder muss man davon ausgehen, dass nicht nur die ermittelten sieben schadhaften Stellen, sondern das ganze Dach eine Gefahr darstellen? Eine wachsende zusätzliche Belastung erhält die Konstruktion dadurch, dass mehr und mehr barocker Figurenschmuck das Gebäude ziert. Diese Figuren werden nach und nach aufgesteckt. Sie sind vielleicht sehr schön, vor allem aber eines: sehr schwer.
Fraglich ist außerdem, wer nun für die Bausicherung, die Schadensermittlung und – gegebenenfalls – die Reparatur aufkommen muss. Ist es eine Regress-Leistung des Bauunternehmens BAM? Dieses Unternehmen hat den Mietkaufvertrag für den neuen Landtag mit dem Parlament vereinbart. Für 138 Millionen Euro, zahlbar in 25 Jahresraten, hat das Land das Landtagsschloss bekommen; das Projekt galt als gelungen, denn von bedeutenden Verteuerungen wurde – im Unterschied zu anderen Bauprojekten der öffentlichen Hand – nichts bekannt.
Zunächst hat die BAM auch den Betrieb, die technische Betreuung des Landtags übernommen. Im Herbst 2021 wurde bekannt gegeben, dass die Bremer Zech-Gruppe die Betreiberfirma BAM ID erworben hatte und für die Instandhaltung des Gebäudes fürderhin zuständig war. Als Betreiber übernahm sie auch die Kosten für die umfangreiche Absperrung des Landtagsgebäudes. Noch im Juli sei mit Ergebnissen zu rechnen, die dann den Abgeordneten und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, fügte der Sprecher hinzu.
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