- Berlin
- Jobcenter und ukrainische Flüchtlinge
Ukrainer können kommen
Jobcenter in der Hauptstadt sehen sich vorbereitet auf den Wechsel der Zuständigkeit für Flüchtlinge
»Wir haben damit gerechnet, in die Zuständigkeit zu kommen, und als der Beschluss im April fiel, waren wir schon längst in der heißen Phase der Vorbereitung«, sagt Elena Zavlaris am Dienstag. Die Geschäftsführerin des Jobcenters Tempelhof-Schöneberg erklärt bei einem gemeinsamen Termin mit der Leiterin der Berliner Regionaldirektion der Agentur für Arbeit, Ramona Schröder, wie sich ihre Behörde auf die ab 1. Juni geltende Zuständigkeit für Leistungen für registrierte Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine vorbereitet hat. Das heißt, sowohl für die Finanzierung von Wohnraum und Leistungen zum täglichen Leben als auch für die Förderung von beruflicher Qualifizierung.
Von den insgesamt 600 Mitarbeiter*innen in Zavlaris’ Behörde hätten sich im Vorfeld der Umstellung 23 Kolleg*innen sehr schnell zu einem nur dafür zuständigen Team zusammengefunden, berichtet die Geschäftsführerin. »Wir wollten direkt ein eigenes Flüchtlingsteam haben, mit Mitarbeiter*innen, die Erfahrung hatten und sich empathisch der Umsetzung der zu erwartenden Aufgaben widmen wollten.« Man habe zudem zügig räumliche Möglichkeiten geschaffen, in denen mithilfe von Sprachmittler*innen auch größere Gruppen von Menschen betreut werden könnten.
In enger Kooperation mit der Initiative Ukrainische Organisationen in Berlin und mit dem Sozialamt des Bezirks, berichtet Zavlaris, sei es ebenso gelungen, einen Großteil der bis dahin in Tempelhof-Schöneberg registrierten Flüchtlinge aus der Ukraine anzuschreiben und sie sowohl über den Wechsel der Zuständigkeit zu informieren als auch zu einem Termin im Rathaus Schöneberg einzuladen, bei dem die Jobcenter-Mitarbeiter*innen den Menschen direkt beim Ausfüllen der Anträge behilflich waren.
Zwischen dem 5. und dem 21. Mai habe man so unter der Woche täglich bis zu 150 Menschen eingeladen. »Die Hälfte ist auch gekommen«, berichtet die Jobcenter-Leiterin. Vielen konnte geholfen und die Anträge können nun bearbeitet werden. Viele Ukrainer*innen hätten sich gewundert, wieviel noch immer auf dem Papierweg bearbeitet werde, erzählt Zavlaris. Aber auch die Frage, wer als alleinerziehend gilt, führte zu Diskussionen: »Viele Frauen sehen sich nicht als alleinerziehend, aber in unserem System sind sie es.« Auch der Umstand, dass man in der Ukraine schon mit 59 Jahren in Rente gehen kann, sorgt für Klärungsbedarf. Eigentlich ist das Sozialamt erst wieder für Menschen ab 65 Jahren zuständig, bei anerkanntem Rentenstatus trifft das für die Älteren aus der Ukraine so möglicherweise schon ab 59 zu.
Insgesamt erwarte man für alle Berliner Jobcenter »in der ersten Tranche« die Antragstellung von 35 000 Menschen, erklärt Regionalleiterin Ramona Schröder. Die Bedingungen: Die Menschen sind in Berlin registriert und haben eine Aufenthaltsgenehmigung. Letztere treffen allerdings erst nach und nach ein. Nur ein Problem von vielen. Hatte doch Diana Henniges von der Organisation Moabit hilft berichtet, dass viele Sozialämter schon in den vergangenen Wochen keine Anträge mehr bearbeitet hätten – mit der Folge, dass der Verein hungernde Familien versorgt hätte. Solcherlei sei ihr aus dem Sozialamt Tempelhof-Schöneberg nicht bekannt, erklärt Zavlari auf Nachfrage.
»Keiner wird verlorengehen«, versichert auch Ramona Schröder. Schröder, die am Dienstag zum ersten Mal seit der Amtsübernahme im Dezember 2020 einen Pressetermin in Präsenz absolviert, erklärt, dass für eine erfolgreiche Integration auf dem Arbeitsmarkt die schnelle Anerkennung von Berufsabschlüssen eine wesentliche Voraussetzung ist. »Die Anerkennungsbehörden müssen deutlich schneller arbeiten«, betont sie. »Wir laufen sonst Gefahr, dass sich gut ausgebildete Menschen wieder auf den Weg machen, weil ihnen das hier alles zu lange dauert.«
Die Arbeitslosigkeit in Berlin geht ansonsten generell weiter zurück. Im Mai waren rund 173 000 Frauen und Männer arbeitslos gemeldet, etwa 3600 weniger als im Vormonat. Die Arbeitslosenquote sank auf 8,5 Prozent. »Der Arbeitsmarkt in der Region zeigt sich robust trotz der wirtschaftlichen und politischen Spannungen infolge des Krieges gegen die Ukraine«, sagt Ramona Schröder. Eine Rolle dabei spiele die Frühjahrsbelebung: Viele Arbeiten im Freien sind wieder besser möglich und die Betriebe stellen mehr ein.
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