Die Freedom-Day-Narbe

Jeja nervt: Der Zynismus der Corona-Politik

  • Jeja Klein
  • Lesedauer: 3 Min.

Jeder Tag mit neuen Infektionsrekorden trägt mich und Sie, lieber Leser*innen, etwas näher an den Zeitpunkt heran, an dem das Infektionsschutzgesetz ausläuft. Der »Freedom Day« steht drohend und hämisch grinsend am Horizont. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber in meinem Umfeld herrscht gerade ein gewisses Entsetzen vor. Es ist eine Mischung aus Verdrängung, Zynismus und aufgestauter Panik in Erwartung des Tages, an dem wir selbst beim Lebensmitteleinkauf wieder in unzählige maskenlose, triumphierende, welt- und selbstvergessene Gesichter blicken werden.

Dass die Bevölkerung gegenwärtig einem nach wie vor gefährlichem Virus in fast grenzenlos Maß ausgesetzt ist, stellt natürlich eine erhebliche Belastung für unsere Körper dar. Es gibt jedoch auch eine seelische Belastung, die sich momentan eher still, verdeckt von der Aufmerksamkeit für den Krieg in der Ukraine, in vielen Menschen zuspitzt. Mit dem Fallen der Maskenpflicht und der von oben verordneten, inszenierten Normalität geht auch eine erhebliche Krise von Anerkennungsverhältnissen einher. Alle, die nach wie vor Angst vor dem Virus haben, vor Covid, vor Long Covid, den damit verbundenen ökonomischen Konsequenzen, der Isolation und Einsamkeit und den damit einhergehenden Gefühlen, nicht zuletzt auch vor Krankenhaus, Beatmung und Tod, dürften sich in diesen Tagen dem Eindruck nicht entziehen können: Wir werden übersehen.

JEJA NERVT

Jeja Klein ist eine dieser Gender-Personen aus dem Internet und nörgelt einmal die Woche an Kultur und Politik herum. dasnd.de/jejanervt

Das betrifft in zugespitztem Maß all jene, die zu Risikogruppen gehören oder mit ihnen im selben Haushalt wohnen und für die ein Aufenthalt in der Gesellschaft sowieso seit zwei Jahren kaum oder gar keine Option mehr gewesen ist. Es betrifft aber auch diejenigen von uns, die um die faktisch an Haft grenzende Lage dieser Menschen wissen, die weiterhin solidarisch sein wollen und die durch den Wegfall zuverlässig funktionierender Schnelltestung immer mehr die Kontrolle darüber verloren haben, wie ein lebbarer Ausgleich zwischen den Nähebedürfnissen zu anderen und dem Schutz dieser Menschen vor einer Virusübertragung gehandhabt werden kann. Sicher nicht nur in meinem Fall kommt eine Neigung zu Schuldgefühlen hinzu, die jedes mal aufs Neue erst mühselig erfasst, verbalisiert und abgebaut werden müssen. Wenn überhaupt.

Sehen wir der Tatsache ins Auge: Der offizielle Ausstieg aus der Zeit der Pandemie wider alle naturwissenschaftlich vorliegende Evidenz ist – vorerst – gekommen. Das bringt bei vielen von uns Gefühle mit sich, die wir nicht länger in Zynismus oder dem Abarbeiten an Feindbildern wie Querdenker*innen, der »Bild«-Zeitung oder der FDP konservieren sollten. Wir müssen sie aussprechen, in unser Selbstbild integrieren, sie zwischenmenschlich verfügbar und damit besprechbar machen. Wir müssen uns unserer Angst, unserer Trauer, unserer Isolation, vor allem aber dem Gefühl stellen, dass wir in unseren gerechtfertigten Bedürfnissen nach Schutz und Solidarität nicht länger von Belang sind.
In fundamentalen psychischen Bedürfnissen nicht gesehen zu werden, kann eine traumatisierende und retraumatisierende Erfahrung sein – selbst wenn wir das wie ich mit dummen Sprüchen überdecken oder in Wut nach außen kanalisieren. Die Verletzung ist real. Wir alle sind als Menschen soziale Wesen, die als Kinder die fundamentale Erfahrung gemacht und verinnerlicht haben, dass wir auf die Liebe, Zuneigung, den Schutz und den relativen Einklang mit unserer unmittelbaren Umgebung angewiesen sind.

Wenn sich das jedoch als eine konflikthafte Angelegenheit herausstellt, verzichten wir nicht auf den Einklang zum Beispiel mit unseren Eltern, sondern auf den Ausdruck unserer inneren Wahrheit. Jeder von uns, egal wie »psychisch gesund« oder »psychisch krank«, trägt diese Narbe in sich. Sie ist nur unterschiedlich groß. Gut möglich, dass sie in diesen Tagen wieder anfängt, wortlos zu schmerzen. Verleihen wir diesem Schmerz, dieser sich zurückmeldenden Verletzung also, wenn es geht, Worte, Ausdruck. Nur so können wir uns, nun als Erwachsene, ein Stück weit wenigstens, selbst beschützen.

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