Ahnungslos beim Menschenhandel

Brandenburg führt keinerlei Statistik, ob unbegleitete minderjährige Flüchtlinge verschwinden

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.

Brandenburgs Landesregierung sei nicht in der Lage, Kinder und Jugendliche zu identifizieren und somit zu schützen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind, kritisiert der Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge e.V. Das gehe aus einer Antwort des Jugendministeriums auf eine Parlamentarische Anfrage der Linken hervor, die auch »nd« vorliegt. »Die Antwort ist alarmierend«, sagt Paul Stieber vom Bundesfachverband. »Laut dem zuständigen Ministerium werden keine Daten zu möglichen minderjährigen Opfern von Menschenhandel erfasst.« Das bedeute aber nicht, dass das Problem nicht existiert, so Stieber weiter. »Mitten in Deutschland werden Kinder und Jugendliche Opfer von Menschenhandel und niemand schaut hin.«

Medien hatten in diesem Zusammenhang über vietnamesische Betroffene berichtet. Dem Fachverband liegen auch Hinweise vor, dass Menschenhandel bei Kindern und Jugendlichen aus dem russischen Sprachraum vorliegen könnte. Bisher ist das ein Verdacht, weil polizeiliche Ermittlungen, sofern es welche gibt, zu unterschiedlichen Auffassungen kommen.

Junge Vietnames*innen kommen in der Regel freiwillig nach Europa, ausgestattet mit dem Auftrag ihrer dort zurückgelassenen Familie, für sie Geld zu verdienen. Sie zahlen sogar hohe Beträge an Schlepperorganisationen, weil es sonst gar nicht möglich wäre, in die Festung Europa zu kommen. Was dann passiert, ist unterschiedlich: Einige schreiben Erfolgsgeschichten wie der heute 33-jährige Gastronom Van Tuyen Pham. Der Inhaber der Restaurantkette »Umami« in Berlin war mit 14 Jahren als unbegleiteter Flüchtling nach Berlin gekommen. Er kam in einer Pflegefamilie unter, machte den Schulabschluss, arbeitete neben der Schule als Tellerwäscher und eröffnete vor neun Jahren sein erstes eigenes Restaurant. Von den Gewinnen seiner inzwischen sechs Restaurants unterstützt der gläubige Katholik soziale Projekte in Vietnam sowie der katholischen Kirche in Deutschland.

Andere landen in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen, müssen beispielsweise für drei Euro pro Stunde in vietnamesischen Läden Regale einräumen, oder sie betreuen für wenig Geld Kinder vietnamesischer Familien. Die Polizei kennt auch Fälle in Berlin, wo Mädchen gegen ihren Willen in der Prostitution landen. Unklar ist allerdings, ob sie minderjährig sind. Wieder andere verschwinden mit unbekanntem Ziel aus Jugendhilfeeinrichtungen und wandern - freiwillig oder nicht - weiter nach Großbritannien, wo sie in Nagelstudios oder auf Cannabis-Indoor-Plantagen das große Geld machen wollen.

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Sofern Menschenhandel vorliegt, egal, ob die Opfer minderjährig oder erwachsen sind, können die Behörden die Opfer nicht einfach nur abschieben. Sie müssten ihnen Schutz bieten. Das Brandenburger Jugendministerium schreibt aber, die Strafverfolgungsstatistik weise für 2018 und 2019 keine Verurteilungen wegen Menschenhandels mit Minderjährigen auf. Justiz, Polizei und Jugendämter würden seit 2018 zu diesem Phänomen geschult. Die Behörden in Brandenburg führten jedoch keinerlei Statistik, wie viele Kinder und Jugendliche aus Hilfseinrichtungen verschwinden, woher sie stammen und ob sie durch Straftaten auffielen, die auf ein Ausbeutungsverhältnis hinweisen könnten.

Barbara Eritt vom katholischen Verband In Via, der sich um von Menschenhandel betroffene Frauen kümmert, sagt: »In Brandenburg ist das Phänomen des Handels mit Kindern im öffentlichen Diskurs nicht angekommen«, auch nicht in der Politik. Dabei sei belegt, dass die Pandemie zu einer Zunahme von Gewalt gegen Kinder führe. Sie fürchtet, dass Missbrauchsfälle vermehrt verdeckt ablaufen würden, sagt aber auch: Genaue Erkenntnisse lägen nicht vor.

Auch die jugendpolitische Sprecherin der Linken, Isabelle Vandre, kritisiert die Landesregierung. »Das große Problem ist die Ahnungslosigkeit der Behörden. Wir müssen den Bereich der Spekulationen verlassen und die Fakten kennen.« Schulungen von Polizei, Justiz und Jugendämtern reichen ihrer Meinung nach nicht aus. »Wir müssen nachverfolgen können, woher die Kinder nach Brandenburg kommen und wohin sie verschwinden.« Das Jugendministerium reagierte zunächst nicht auf die Bitte von »nd« um eine Stellungnahme.

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